Mittwoch, 23. Dezember 2015

Stockfisch als Nahrungsmittel im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Venedig, von Stefan Kern

Betritt man die Altstadt von Genua auf der Höhe des Palazzo San Giorgio, dem ehemaligen Sitz der im Jahr 1407 gegründeten Banco di San Giorgio, stösst man schon nach wenigen Schritten auf die in der Via di Sottoripa gelegene Pescheria Gianni. Neben der üppigen Auslage fällt einem ein in der Ecke des Geschäfts eingebautes, quadratisches Becken auf. Es ist gefliest, ist etwa einen halben Meter breit und ein Hahn führt ihm laufend frisches Wasser zu. Im Becken gondeln handgrosse Stücke des baccalà [1]: Das ist der hart wie Holz getrocknete Stock- oder der etwas weichere und gesalzene Klippfisch. [2] Etwa zwei Tage lang wird der so konservierte Kabeljau hier gewässert, damit er vom Kunden küchenfertig nach Hause mitgenommen werden kann. Der Kabeljau lebt in gigantischen Mengen in Teilen des Nordatlantiks und im Nordpolarmeer. Das Becken in der Fischhandlung lässt den Schluss zu, dass auch heute noch eine Nachfrage nach Stockfisch besteht.

In Sandrigo, einem nahe der Stadt Vicenza gelegenen Städtchen, wurde 1987 - wohl im Sog der Slow-Food-Bewegung und vielleicht ermöglicht durch eine sogenannte Anschubfinanzierung der EU zur Tourismusförderung, die mit dem Auftrag verbunden war, sich auf lokale Traditionen zu besinnen - die Confraternita del Bacalà alla Vicentina gegründet. Diese Bruderschaft organisiert seither jedes Jahr ein Fest, wo Speisen aus Stockfisch zubereitet werden, und auf ihrer Website empfiehlt sie Gaststätten, die Speisen vom Stockfisch anbieten. [3]

Genua hat das Meer sozusagen vor der Tür, und in Sandrigo, dem nahe von Venedig gelegenen Städtchen, liegt es nah. Also wäre doch anzunehmen, dass daraus auch Fisch zu ziehen wäre. Welches sind die Gründe für die weite Verbreitung des Stockfisches in den christlichen Ländern des Mittelmeerraums? Und auf welchem Weg gelangte er im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit nach Norditalien? Diese Fragen stellte sich der Schreibende anlässlich einer Studienreise nach Genua und Venedig [4], als ihm während einer Mittagsrast in einem am Canal Grande gelegenen Restaurant kalte Fischspeisen serviert wurden: auf mit sepia nera eingefärbten, rhombisch ausgestochenen Schnittchen aus Weizengriess. Darunter befand sich auch eins, das mit einer crèmeartigen Masse aus Stockfisch garniert war.

Messer Pietro Querinis Reise zum Polarkreis 
In der unter venezianischer Herrschaft stehenden kretischen Stadt Candia, dem heutigen Heraklion, stach im April 1431 ein Schiff westwärts in See. Die Reise [5] sollte nach Flandern gehen, um dort Holz und Wein zu verkaufen. Das Kommando hatte der etwa dreissigjährige Pietro Querini, der aus einem nicht besonders erfolgreichen Zweig des berühmten und mächtigen venezianischen Geschlechts der Querini stammte. Als Offiziere standen ihm Nicolò de Michiel und Christoforo Fioravante zur Seite. Als reisende Kaufleute befanden sich noch weitere Notabeln an Bord. Die Besatzung zählte insgesamt 68 Mann. Doch nur Querini, Michiel und Fiorovante sowie acht weitere Glückliche kehrten zwischen dem Oktober 1432 und Januar 1433 wohlbehalten nach Venedig zurück. Alle anderen kamen um.

Das Schiff war im November 1431 im Ärmelkanal von einem Sturm erfasst worden, der fünf Wochen lang wütete und das Schiff nach Norden trieb. Schliesslich gelang es am 6. Januar 1432 einer kleinen Gruppe, sich mit einer Schaluppe auf eine verlassene Insel zu retten. Ziegen gleich fristeten sie dort ihr Leben. Nach einem Monat entdeckten Fischer von der nahegelegenen Insel Røst, die zum Archipel der Lofoten gehört, die Männer in ihrer hoffnungslosen Lage. Die Bewohner von Røst waren Christen und besuchten regelmässig den Gottesdienst. Zum Erstaunen und Entzücken der Südeuropäer pflegten sie ganz eigene Sitten.

Fische, von denen es Unmengen gab, wurden auf dem Schnee getrocknet und damit haltbar gemacht. Um sie zu verzehren, wurden sie mit einem Prügel weichgeklopft und mit Butter bestrichen. Schnee fiel während ihres dreimonatigen Aufenthalts fast ununterbrochen. Kleinkinder wurden zur Abhärtung bis zu vier Tage nackt unter das offene Fenster gelegt, wo sie vom Schnee zugedeckt wurden. Ohne Aufheben teilten die Familien ihr Bett mit den Gästen. Stets am Donnerstag begaben sich alle, so wie Gott sie erschaffen hatte, in die Sauna. Querini erfuhr auch, dass sich in 70 Meilen Entfernung der Arsch der Welt befände, so bezeichneten die Bewohner den Malstrom, ein berüchtigter Gezeitenstrom, in ihrer Sprache. Mit dem getrockneten Fisch trieben sie Handel. Schiffe brachten im Sommer den Fang in das südnorwegische Bergen. Im Mai traten Querini und seine Schicksalsgenossen die Heimreise an. Nicht nur die Frauen brachen beim Abschied in Tränen aus. Zum Abschied erhielten sie drei Fladenbrote und 60 Stockfische. Von 13 Einheimischen nach Trondheim gerudert, gelangten sie auf dem Landweg nach Südschweden. Dort trennten sich die Wege Querinis von denjenigen Michiels und Fiorantes. Querini gelangte über London nach Basel, von wo er nach 42 Tagen Venedig erreichte. Ob auch die Stockfische nach Venedig gelangt sind, erwähnt Querini nicht. [6] Es handelt sich um den frühesten überlieferten Bericht eines Südeuropäers über die Lofoten und seine Bewohner.

Die Verwendung des Stockfischs in der Küche Mittel- und Südeuropas
Über den kulinarischen Wert des Stockfisches fällte der italienische Renaissancehumanist Poggio Bracciolini im Jahr 1436 ein nüchternes Urteil: Er sei ohne schlechten Geruch, überhaupt ziemlich geruchlos, wenngleich er als Appetitanreger angenehm sei, und was zu diesem Zweck tauge, könne so schlecht nicht sein. [7]

Zum kulturellen Stellenwert von Fisch als Nahrungsmittel stellte der Mittelalter-Historiker Massimo Montanari fest: „Der konservierte Fisch rief Vorstellungen von wirtschaftlicher Armut und gesellschaftlicher Subalternität hervor; der frische Fisch Bilder des Reichtums, aber eines kaum beneidenswerten Reichtums, denn Fisch macht nicht satt. Er ist ein ‚leichtes‘ Essen, und gerade deshalb eine Fastennahrung, weil er nur von demjenigen voll genossen werden kann, der nicht den täglichen Hunger vor Augen hat. Aus beiden Gründen hatte es der Fisch schwer, in den Kreis der Nahrungsmittel aufgenommen zu werden, die man grundsätzlich positiv bewertete. Man ass ihn, und zwar reichlich; aber in kultureller Hinsicht blieb er immer ein Ersatz für das Fleisch.“ [8]

Schon 1375 erwähnt der französische Chefkoch Karls V. von Frankreich, Guillaume Tirel, der auch unter dem Namen Taillevent bekannt war, im Manuskript Le Viandier die Zubereitung von Stockfisch: „Gesalzener Kabeljau wird mit Senfsosse gegessen oder er wird mit zerlassener frischer Butter übergossen“ [9] Ein noch älteres, mutmasslich in der ersten Dekade des 14. Jahrhunderts entstandenes Manuskript beschreibt die Zubereitung mit Senf ebenfalls. [10]

Auf keinen geringeren als auf den Philosophen und Kurgast Michel de Montaigne beruft sich die bereits erwähnte Bruderschaft, um ihre Leidenschaft für den Stockfisch sozusagen historisch zu verankern. Montaigne soll während seines kurzen Aufenthalts in Vicenza im Jahr 1580 ein Gericht aus Stockfisch verzehrt haben. In der massgebenden deutschen Übersetzung seines Tagebuchs findet sich diese Episode allerdings nicht. [11] Obwohl lange haltbar, konnte Stockfisch verderben. Das Wasser, worin er gewässert worden sei, könne derart stinken, schreibt der Historiker Fernand Braudel, dass es nur nachts in die Gosse geschüttet werden durfte. Und aus einer Quelle aus dem Jahr 1636 lässt er eine Küchenmagd schimpfen: „Mir ist die Fleischzeit lieber als die Fastenzeit […]; viel lieber habe ich doch eine schöne fette Schlackwurst in meinem Kessel und vier Schweinshaxen als solch ein elendes Mittelstück vom Kabeljau!“ [12]

Gadhus morhua (Kabeljau): Vorkommen, Fang und Konservierung
„[Der Kabeljau] ist wie geschaffen zum Überleben. Mit seiner Fruchtbarkeit, seiner Unempfindlichkeit gegen Krankheit und Kälte, seiner Allesfressernatur, seiner Neigung, sich in flachem Wasser und in Küstennähe aufzuhalten, war er der perfekte Fisch für den Handel […]“ [13], schreibt der Journalist Mark Kurlansky in seiner Kulturgeschichte des Kabeljau'. Sein Fleisch ist praktisch ohne Fett (0,3 Prozent) und besteht zu mehr als 18 Prozent aus Protein, getrocknet aus 80 Prozent. [14] Damit war er, im Gegensatz zum fetthaltigeren Hering, der seit dem Spätmittelalter in Fässer eingepökelt neben Walfleisch ebenfalls zu einem bedeutenden Handelsgut wurde, bedeutend länger haltbar. [15] Kabeljau wurde vom Februar bis April bei den Lofoten, vor Vesterålen, Island und Schottland gefangen, wenn er zum Laichen flachere Küstengewässer aufsuchte. [16]

Enorm grosse Vorkommen gab es auch vor Labrador, Neufundland, Nova Scotia und vor Maine. Den Wikingern, die auf fünf Fahrten zwischen 985 und 1011 als erste die Gewässer der neuen Welt erreichten, diente Stockfisch als Proviant. Sie benutzten ihn wie Schiffszwieback, indem sie ihn kauten. Bereits im 9. Jahrhundert richteten die Nordmänner Trockenplätze für Kabeljau in Island und Norwegen ein, und den Überschuss vertrieben sie in Nordeuropa. [17]

Basken, vermutlich auf der Suche nach Walen, entdeckten die Fischgründe vor der Neuen Welt im frühen 14. Jahrhundert ebenfalls. Der genuesische Seefahrer Jean Cabot, der das Gebiet 1497 unter englischer Flagge befuhr und der die später so benannte Insel Neufundland entdeckte, nannte sie Isla dos baccalos. [18] Cabot schrieb: „The sea there is swarming with fish which can be taken not only with the net but in baskets let down with a stone so that it sinks in the water.“ [19] Soweit aus der gesichteten Literatur hervorgeht, spielten diese Vorkommen bei der Versorgung norditalienischer Märkte jedoch keine wesentliche Rolle. Die Basken belieferten vorwiegend Portugal und Spanien damit. Lange blieben sie jedoch nicht unentdeckt.

Fernand Braudel über die darauf folgenden Konflikte: „Die den ganzen Fischfang revolutionierende Ausbeutung der Kabeljaubänke vor Neufundland seit dem Ende des 15. Jahrhunderts in grossem Stil führt zu einer Interessenkollision zwischen Basken, Franzosen, Holländern und Engländern. Wie nicht anders zu erwarten, werden die schutzlosen spanischen Basken von den auf starke Flottenverbände gestützten Seemächten England, Holland und Frankreich aus den reichen Fischgründen verdrängt.“ [20]

Der Stockfisch, in Norwegen skreith [21] genannt, wird ungesalzen und geschützt von der Sonne an der nahezu keimfreien und trockenen Luft getrocknet. [22] Klippfisch hingegen wird nach dem Fang aufgetrennt, gesalzen und auf den riesigen, von Gletschern rundgeschliffenen Felsblöcken an der Küste ausgelegt, wo er regelmässig gewendet, ebenfalls an der Luft getrocknet wird. [23]

Zu den klimatischen Voraussetzungen für die Anwendung dieser beiden Konservierungsmethoden schreibt der Fischerei-Historiker Dietrich Sarhage: „Along the Finnmarken coast most catches were dried on racks in the open air to yield stockfish while, further south in the Lofoten area with less favourable climatic conditions for drying, the production of klipfish dominated. The application of salt for curing cod was introduced to Norway in the 18th century from England.” [24]

1. Ausschnitt aus der Karte des Olaus Magnus von 1539
Auf den Lofoten war ab 1100 der Fischfang für den Export von Stockfisch intensiviert worden. Die Arbeitspause in der Landwirtschaft der lofotischen Bauern fiel mit der Laichzeit des Kabeljaus im Februar und März zusammen, wenn er die Gewässer rund um das Archipel aufsuchte. [25] „Nachdem im 14. Jahrhundert der Preis für Stockfisch um das Drei- bis Vierfache gestiegen war, war es für viele Norweger jetzt möglich, allein vom Fischfang zu leben. Reine Fischerdörfer entstanden.“ [26], so der Historiker Ernst Schubert in seinem Standardwerk zur Ernährung im Mittelalter. Und weiter, dass sich der Export von 1400 bis 1600 vervierfachte und etwa eine Million Kilogramm erreichte. [27] Händler mit Stockfisch, Häuten und Fellen, gesalzener Butter und Bauholz aus Norwegen sind schon 1122 in Bremen und Utrecht nachgewiesen, sie handelten auch in Köln und wahrscheinlich auch mit Flandern und der Normandie. [28] Später spielte jedoch die Hanse die entscheidende Rolle im Vertrieb des Stockfisches nach den südlicher gelegenen Teilen Europas.
 
Das hansische Kontor in Bergen 
Händler aus Bremen und später Lübeck besuchten das südnorwegische Bergen seit dem 12. und 13. Jahrhundert jeweils im Sommer; ab 1259 überwinterten sie dort auch. [29] Mit ihren umfangreichen Getreidelieferungen nach Norwegen hatten sich die Hansen im 13. und 14. Jahrhundert unentbehrlich gemacht. [30] Ein Edikt König Hakoons V. aus dem Jahr 1316 gestattete nur denjenigen Kaufleuten die Ausfuhr norwegischer Waren, wenn sie dafür Mehl, Malz und Getreide lieferten. [31] Auch Kleidung aus Flandern und handwerkliche Erzeugnisse aus dem Gebiet des Rheins wurden importiert. [32] Der Handel nördlich von Bergen, in den Schatzlanden Norwegens, der Finnmark und Islands, war den hansischen Kaufleuten durch ein Verbot seit 1302 jedoch verwehrt. [33]

Die hansischen Kaufleute in Bergen betrieben auch Handelspolitik. Darüber der Schifffahrts- und Hanse-Historiker Günter Krause: „Im Jahre 1416 verbot ein Hansetag die Fahrt zu den Shetland- und Orkneyinseln sowie zu den Färöern. Das erneute Verbot aus dem Jahre 1434 schloss dann auch die Islandfahrt mit ein. Hinter diesen Verboten stand das Kontor in Bergen, das vorwiegend von den wendischen Städten beherrscht wurde. Da Island ebenfalls wie Bergen Kabeljau als Ausfuhrware anbot, drohte von hier Konkurrenz. Die Isländer bezogen von den Hansen vor allem Mehl, Malz und Bier.“ [34]

2. Ausdehnung des Bergenhandels
Zwischen 1388 und 1528 stand das Bergener Kontor praktisch ununterbrochen unter der Vorherrschaft Lübecks. [35] Doch die seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einsetzende Islandfahrt, an der sich vor allem die Engländer, aber auch hansische Seestädte beteiligten, schädigte die Stellung des hansischen Handels in Bergen. Isländischer Trockenfisch wurde direkt zu den Abnehmermärkten gebracht, und damit war das Bergener Stockfischmonopol, von dem vor allem Lübeck profitiert hatte, gebrochen.“ [36] Das Ende der Dominanz hansischer Kaufleute in Bergen, verkörpert in der Tyskebrygge, des deutschen Kontors, markiert der Verkauf des letzten Handelshauses im Jahr 1667 in norwegische Hände. [37] Den regen Handel nach Dänemark und Norwegen veranschaulichen folgenden Zahlen: Zwischen 1585 bis 1605 transportierten 3‘325 Schiffe aus Rostock Waren mit einem Volumen von 150‘000 Nettoregistertonnen nach Dänemark und Norwegen. [38]

Die neuere Geschichtsforschung hat aufgezeigt, dass die Umsätze von Kaufleuten und Städten in Italien, Spanien und Nordwesteuropa um ein Mehrfaches grösser waren, als die der Hanse. [39] „Die Handelsvolumina von Genua und Venedig waren in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts fünf- bis sechsmal so gross wie das überlieferte Mindestvolumen des seegestützten Lübecker Handels im Jahre 1368“ [40], so der Hanse-Historiker Rolf Hammel-Kiesow in seinem Standardwerk über die Hanse. Bildete die Stadt Bergen das Scharnier zwischen Norwegen und den hansischen Städten, so bildete es das flandrische Brügge mit den Handelsstädten im Norden und den Märkten im Süden Europas.

Lübeck und die hansischen Niederlassungen in Brügge und Venedig 
„Im Westen privilegierte die Gräfin Margarethe von Flandern 1252 die deutschen Kaufleute für die gesamte Grafschaft, insbesondere für Damme und Brügge. Brügge war ein wichtiger Markt, auf dem mediterrane Waren […] angeboten wurden […].“[41], so der Wirtschaftshistoriker Hans-Jürg Gilomen. Das Brügger Kontor, das im Jahr 1356 dem Hansetag unterstellt worden war [42], war das bedeutendste Kontor der Hansekaufleute; 1457 wurden auf einer Versammlung 600 Personen gezählt, die dort für die Hanse tätig waren. [43] Vom in Brügge ansässigen Hildebrand Veckinghusen, der das Bürgerrecht Lübecks besass, wurden nach Auswertung von zwei seiner elf überlieferten Handlungsbücher zwischen 1400 und 1420 zu mehr als 1‘100 Personen Handelskontakte gezählt; nach Südeuropa erstreckten sie sich bis nach Lucca und Venedig. [44] Aus einer Eintragung im Lübecker Niederstadtbuch geht hervor, dass schon im Jahr 1373 Handelsverbindungen zwischen Lübeck und Venedig bestanden haben. [45] Die Hanse besass in Venedig seit dem 14. Jahrhundert eine Niederlassung. [46] Ein in Venedig niedergelassener hansischer Kaufmann bestätigte in einem Brief aus dem Jahr 1411 die entwickelten Handelsbeziehungen nach Italien. [47]

Bis ins frühe 16. Jahrhundert war der Südhandel stark ausgeprägt, scheint aber seit Mitte des 16. Jahrhunderts nachgelassen zu haben. [48] Hamburger Schiffslisten verzeichneten im 16. und 17. Jahrhundert im Durchschnitt jährlich nur ein oder zwei Schiffe von und nach Venedig [49].

Zu den Handelsrouten Günter Krause: „Dass relativ wenig Fahrten in den Mittelmeerraum unternommen wurden, lag daran, dass die hansischen Seestädte relativ sichere und bequeme Landwege nach Venedig benutzten. Es soll vorgekommen sein, dass Hamburger Kaufleute in Venedig ihre Schiffe günstig verkauft haben und statt über See auf dem Landweg nach Haus gefahren sind.“ [50]

3. Die Routen der galere da mercato
Dies geschah wohl vor allem deshalb, weil sich mit der Ausdehnung des hansischen Handels im 16. und 17. Jahrhundert die Piratengefahr im Mittelmeerraum erheblich verstärkt hatte [51]: „Von 1615 bis 1629 waren 22 Schiffe von Barbaresken gekapert worden und im Jahr 1631 befanden sich noch 84 Mann in Gefangenschaft.“ [52], so Krause zur Piraterie der Nordafrikaner.
Venedigs Verbindungen nach Brügge 
Umgekehrt pflegten die Venezianer Handelsbeziehungen nach Lübeck sowie weiteren deutschen Städten. [53] Vor allem aber nach Brügge, die über den Land- wie auch über den Seeweg führten [54]. Italienische Kaufleute begannen seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert, sich halbpermanent an wichtigen Handelsplätzen nördlich der Alpen niederzulassen, so in Paris, London und Brügge. [55] Ab 1314 sandten die Venezianer die galere di Fiandra in Richtung Brügge bzw. seinem Hafen Sluis aus. [56] Die Ladekapazität solcher Galeeren betrug anfänglich 100 Tonnen, später bis zu 300 Tonnen, was fünfzig Waggons eines Güterzugs entsprach. [57] Diese Verbindung auf dem Seeweg kam aber spätestens 1521 zum Erliegen. [58] Im 15. Jahrhundert beherrschten italienische Banken den Geldmarkt in Brügge. [59]

Der Proteinbedarf der Bevölkerung und die relative Fischarmut des Mittelmeers 
Verschiedene Autoren erklären die grosse Nachfrage nach Stockfisch und Hering in Mittel- und Südeuropa mit der grossen Zahl an Fastentagen im katholischen Europa, während denen nur Fisch gegessen werden durfte. [60] Allerdings blieb der Fischkonsum auch in später reformierten Gebieten hoch. [61] Laut Braudel durften während der Fastenzeit bis zur Regierungszeit Ludwigs XIV. Fleisch, Eier oder Geflügel nur an Kranke und nur gegen eine doppelte Bescheinigung von Arzt und Priester verkauft werden. [62] Die Erklärung, dass die Nachfrage nach Fisch auf den Fastengeboten beruhen soll, greift jedoch zu kurz; Angelika Lampen bezeichnet sie als „Konstrukt“. [63] Tierisches oder pflanzliches Protein ist lebensnotwendig [64] und deshalb deutet vieles darauf hin, dass der Proteinbedarf auf Grund fehlender lokaler Ressourcen und wegen einer wachsenden Bevölkerung nur mit einem grossen Aufwand zu decken war [65], sodass Protein importiert werden musste.

Zu den Fischvorkommen im Mittelmeer hielt Fernand Braudel fest: „[…] Das Mittelmeer ist nicht sonderlich fischreich. Seine Fischbestände lassen sich weder mit denen der Doggerbank in der Nordsee vergleichen, noch gar mit jenen der sagenhaften Fanggebiete Neufundlands, Nordjapans oder an der atlantischen Küste Mauretaniens.“ [66]

Die Ernährung in den christlichen Mittelmeergebieten beruhte denn auch in einem grösseren Ausmass als in den nördlichen Ländern nicht allein auf den Wirbeltieren der See, sondern bezog auch die niederen Seetiere, die frutti di mare mit ein. [67]

Einen weiteren plausiblen Grund für die Substitution frischen Fisches durch Stockfisch gibt der Kulinariker Peter Peter an: „Norwegischer Stockfisch […] wurde vor allem im stürmischen Winter beliebt, wenn die Fischer nicht ausfahren konnten.“ [68] Seit dem Mittelalter, und bis heute, soll der Mittelmeerraum der anspruchsvollste Markt für Produkte vom Kabeljau sein. [69]

Für den Westen gibt Fernand Braudel für die Zeit zwischen dem 12. und dem 17. Jahrhundert zwei Perioden an, in denen die Bevölkerungsentwicklung langanhaltend stieg: zwischen 1100 und 1350 und von 1450 bis 1650. [70] Italien war um 1600 das dichtest besiedelte Land Europas und zählte 44 Einwohner pro Quadratkilometer; Holland hatte 40, Frankreich 34 und Deutschland noch 28 Einwohner pro Quadratkilometer. [71] Einen weiteren Grund nennt Gilomen, dass es bis Mitte des 15. Jahrhunderts über den Grundbedarf hinaus zu einer steigenden Nachfrage von Massengütern wie Textilien und Nahrungsmitteln kam: Nach der Pest von 1347 bis 1353 hatten sich mehr Ressourcen in den Händen der Überlebenden angesammelt. [72]

Die Bevölkerung Venedigs und ihre soziale Schichtung im 15. und 16. Jahrhundert
Venedig war gemessen an europäischen Verhältnissen eine riesige Stadt: Schon im 15. Jahrhundert hatte sie vermutlich über 100‘000 Einwohner; im 16. und 17. Jahrhundert stieg die Zahl dann auf 140‘000 bis 160‘000 Einwohner. [73] Doch schon im 15. Jahrhundert mussten Rinder in Ungarn für die Versorgung der Bevölkerung aufgekauft werden [74], was den Preis für Fleisch sicher in die Höhe trieb.

Betrachtet man die Bevölkerungsstruktur Venedigs am Ende des 16. Jahrhunderts, so zeigt sich, dass nur knapp 7 Prozent der Bevölkerung zu den Privilegierten gehörten und deshalb wohl auch genug wohlhabend waren, um sich frischen Fisch leisten zu können. Braudel über die Schichtung der Bevölkerung: „1586 umfasst die Arbeiterschaft knapp 34‘000 der insgesamt fast 150‘000 Einwohner, d.h., wenn man pro Arbeiter eine vierköpfige Familie ansetzt, nahezu die gesamte Stadtbevölkerung gegenüber der kleinen, ca. 10‘000-köpfigen Gruppe der Privilegierten.“ [75] Dies mag erklären, weshalb der Stockfisch in der Ernährung eines Grossteils der venezianischen Bevölkerung eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte.

Stockfisch und eingepökelter Hering waren, neben Getreide und Salz, die ersten Massengüter im Warenverkehr, hält Angelika Lampen in ihrer Dissertation über die Fischerei und den Fischhandel im Mittelalter fest, und sie bezeichnet diese beiden Güter als ein „gemeineuropäisches Produkt“. [76]

4. Stockfisch
Auffallend ist allerdings, dass in der in dieses Arbeit gesichteten Literatur keine quantitativen Angaben über die Menge des von Norwegen nach Norditalien importierten Stockfisches für den untersuchten Zeitraum gefunden werden konnten. Werte vom Ende des 18. Jahrhunderts und mutmasslich des frühen 19. Jahrhunderts vermitteln jedoch eine Vorstellung von den Dimensionen der Produktion und dem Absatz von Stock- und Klippfisch: So sollen in Bergen jährlich 12 Millionen Pfund Fisch und 20‘000 Fässchen eingemachter Rogen exportiert und für die Zubereitung 40‘000 Tonnen schwedisches und französisches Salz eingeführt worden sein. [77] Und in Spanien sollen jährlich gegen 5 Millionen Zentner Stockfisch für ungefähr 3 Millionen Piaster abgesetzt, und zur Fastenzeit in Paris sollen vor der Revolution gegen 20 Millionen Stockfische verkauft worden sein. [78] Dass keine älteren quantitativen Daten vorliegen, mag damit zusammenhängen, dass hier keine italienischsprachigen Untersuchungen einbezogen worden sind. Denkbar ist aber auch, dass effektiv keine oder nur sehr wenige Urkunden existieren. Im Zusammenhang mit dem Überlieferungs-Schicksal von Urkunden am Beispiel der Stadt Lucca im 12. Jahrhundert, weist der Historiker Arnold Esch nämlich darauf hin, dass Urkunden von Termingeschäften, wie etwa Lehrlings- oder Lieferverträge oder Darlehen, einfach deshalb nicht überliefert sind, weil sie weggeworfen wurden. Es handelte sich um alltägliche Geschäfte, die im Gegensatz etwa von Grundstücksgeschäften nur für eine kurze relativ Frist von Bedeutung waren. [79] Einiges deutet zwar darauf hin, doch geklärt werden konnte die Frage nicht eindeutig, ob der norwegische Stockfisch von Brügge aus hauptsächlich auf dem Landweg über die Alpen nach Norditalien gelangte oder auf dem Seeweg.

Endnoten
1„Gesalzener Kabeljau heisst baccalà auf Italienisch und bacalhau auf Portugiesisch, was beides aus dem spanischen Wort bacalao herleiten dürfte und letztlich auf das lateinische Wort baculus, Stock, zurückgeht.“ Kurlansky: Kabeljau, S. 45. „Das französische Wort für Kabeljau, morue, gab dem atlantischen Kabeljau den zweiten Teil seines lateinischen Namens.“ Kurlansky: Kabeljau, S. 44.
2 Im weiteren wird stets von Stockfisch gesprochen. „[…] der gefangene fisch wird durch schnellen schnitt in zwei, oder auch vier theile zerlegt und an stangengerüsten zumeist unter freiem himmel zum trocknen ausgehängt; von der luft klapperdürr gemacht, wird er bündelweise wie reisig […] in Speichern aufgeschichtet […].“ Grimm: Wörterbuch, S. 91, Sp. 1; im süddeutschen Raum war Stockfisch auch als Rackelfisch oder durrvisch bekannt. Vgl. Schubert: Essen, S. 146.
3 Vgl. Confraternita del Bacalà alla Vicentina: Storia (Internet-Publikation).
4 Wirtschaftskulturen der Welt, Teil 1: Genua und Venedig, 9. bis 14. September 2015, MAS in Applied History, Historisches Seminar der Universität Zürich.
5 „Ich verstehe unter ‚Reisen‘ eine räumliche Bewegung, die sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt, eine gewisse Entfernung überwindet und durch ein bestimmtes Ziel, Verhalten oder wenigstens Interesse eine innere Geschlossenheit erhält.“ Reichert: Erfahrung, S. 15.
6 Vgl. Querini: Naufragés, S. 9-50. Der Bericht Querinis wird unter der Signatur Vat. lat. 5256, fol. 42-55v° in der Biblioteca apostolica Vaticana in Rom aufbewahrt.
7 Vgl. Kurlansky: Kabeljau, S. 257.
8 Montanari: Hunger S. 100.
9 Zitiert nach Kurlansky: Kabeljau, S. 38. Mit Kabeljau wird hier die Fischart bezeichnet. Damals gelangte er jedoch immer als Stock- oder Klippfisch verarbeitet in die Küchen. „[…] kabeljau […] Das wohl aus portug. bacalhão, span. bacallao verderbte wort gehört zu lat. baculus und stellt sich so begrifflich zu unserem wort [Stockfisch], vgl. auch das besser besser erhaltenene bakkeljau. die angleichung erfolgte vermuthlich an kabel (zu mittellat. capulum ‚fangseil‘), weil der fisch an (oft 2000 m) langen leinen (der ‚grundschnur‘), von welcher mehr als 1000 angelschnüre sich abzweigen) gefangen wird.“ Grimm: Wörterbuch, S. 91, Sp. 1. Die französische Bezeichnung für frischen Kabeljau lautet cabillaud, was sich vom holländischen kabeljauw herleiten soll. Vgl. Kurlansky: Kabeljau, S. 45. Im Frankreich des 17. Jahrhunderts wurden verschiedene Qualitäten unterschieden: Ein gaffe war ein Stockfisch von aussergewöhnlicher Länge, kleine Fische hiessen marchande, lingues und raquets, zuviel oder zuwenig gesalzene oder durch Fusstritte der Packer beschädigte Stockfische wurden als viciées bezeichnet. Vgl. Braudel: Alltag, S. 228.
10 „Morua: Morua in aqua dequoquitur et cum synapi comeditur uel cum aleata, hoc modo: teruntur allea et mica panis et cum lacte amigdalarum uel nucum distemperatur. Et ponitur in cepis in oleo frixatis cum morua et aliquantulum bulliri permitatur.“ Zit. nach Redon: Tavola, S. 167. Zur Datierung des Manuskripts vgl. Bautier: Traités, S. 619.
11 Vgl. Montaigne: Tagebuch, S. 111f.
12 Braudel: Alltag, S. 230.
13 Kurlansky: Kabeljau, S. 40.
14 Vgl. ebd., S. 42.
15 Vgl. ebd., S. 30.
16 Vgl. Schubert: Essen, S. 146.
17 Vgl. Kurlansky: Kabeljau, S. 29.
18 Vgl. Sarhage: Fishing, S.90.
19 Zit. nach Sarhage: Fishing, S. 91.
20 Vgl. Braudel: Alltag, S. 226. Vgl. auch Montanari: Hunger, S. 100.
Um sich eine Vorstellung von der Grössenordnung der Aktivitäten auf Neufundland machen zu können, seien hier ein paar Daten und Zahlen genannt. Eine Schätzung des Jahres 1518 gibt ungefähr 15‘000 Europäer an, die dort tätig waren. 1534 beobachtete ein französischer Kapitän etwa 100 französische Schiffe, ein anderer Bericht gibt 149 englische Schiffe an. Ein Bericht von 1578 nennt 330 französische, spanische, portugiesische und englische Schiffe. Vgl. Sarhage: Fishing, S. 91. In den Gewässern rund um Island fanden noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sogenannte Kabeljaukriege statt, die mit rustikalen Methoden ausgetragen wurden.
21 Vgl. Schubert: Essen, S. 147.
22 Vgl. ebd., S. 147; ausführlich vgl. Lampen: Fischerei, S. 142-145.
23 Vgl. Beythien: Warenlexikon, S. 182, Sp. 1f. Laberdan wird Kabeljau genannt, der gesalzen auf den Markt gelangt oder gesalzen in Fässer eingelegt für längere Zeit haltbar gemacht wird. Vgl. ebd., S. 182, Sp. 1.
24 Sarhage: Fishing, S. 90. Heute dominiert auf den Lofoten die Herstellung von Stockfisch. Sie bereitet jedoch zunehmend Schwierigkeiten, weil es häufiger zu Niederschlägen kommt, was den Trocknungsprozess erschwert. Lebhaft erinnert sich der Schreibende an den, soll man ihn als Geruch oder Gestank bezeichnen?, wenn ihn Streifzüge während oder nach einem Niederschlag auch durch die riesigen Gestelle, behangen mit Zehntausenden von Kabeljauen – und auf Schnüren aufgezogenen Fischköpfen, die früher gemahlen an die Kühe verfüttert wurden und heute auf den afrikanischen Markt gelangen – hindurch führten. Zur englischen Bezeichnung cod für Kabeljau: „Im Mittelenglischen bedeutete cod Tasche oder Beutel, und davon abgeleitet ‚Hodensack‘, weshalb der gewaltige Hosenbeutel, den die Männer im 16. Jahrhundert zwischen den Beinen trugen, um sich das Ansehen zu geben, im Besitze mächtiger, den Mann zierender Genitalien zu sein, als codpiece, Kabeljausack, bezeichnet wurde.“ Kurlansky: Kabeljau, S. 44.
25 Vgl. Schubert: Essen, S. 146f.
26 Ebd., S. 149.
27 Vgl. ebd., S. 147.
28 Vgl. Gilomen: Wirtschaftsgeschichte, S. 86.
29 Vgl. Sarhage: Fishing, S. 89.
30 Vgl. Krause: Hanse, S. 41 sowie Sarhage: Fishing, S. 89. „Die merkantile Dominanz der Hanse war bis zum 15. Jahrhundert so stark, dass skandinavische Königreiche bei der Zufuhr lebenswichtiger Güter voll und ganz in ihre Abhängigkeit gerieten. Doch mit dem Entstehen der regionalen Sonderinteressen einzelner Hansestädte und mit dem Erstarken vor allem der holländischen Seefahrt zerbröckelte diese Dominanz im Lauf des 15. Jahrhunderts, ohne dass allerdings die Seefahrt einzelner Hansestädte wie Lübeck oder Hamburg an Bedeutung verlor.“ Bohn: Seefahrt, S. 41f.
31 Vgl. Krause: Hanse, S. 41f.
32 Vgl. Sarhage: Fishing, S. 89.
33 Vgl. Krause: Hanse, S. 42 sowie Lampen: Fischerei, S. 147.
34 Vgl. Krause: Hanse, S. 43.
35 Vgl. Puhle: Hanse, S. 64. Das gespaltene Wappenschild der Lübecker Bergenfahrer vom Beginn des 16. Jahrhunderts zeigt auf der einen Seite einen halben Doppeladler, die andere einen gekrönten Stockfisch. Vgl. Hammel-Kiesow: Hanse, Abbildung auf S.149.
36 Ebd., S. 103.
37 Vgl. Puhle: Hanse, S. 65.
38 Vgl. Krause: Hanse, S. 57.
39 Vgl. Hammel-Kiesow: Hanse, S. 20.
40 Hammel-Kiesow: Hanse, S. 92f.
41 Gilomen: Wirtschaftsgeschichte, S. 88.
42 Vgl. ebd., S. 110. 
43 Vgl. Puhle: Hanse, S. 58.
44 Vgl. Hammel-Kiesow: Hanse, S. 100f.
45 Vgl. Krause: Hanse, S. 55.
46 Vgl. Kurlansky: Kabeljau, S. 34.
47 Krause: Hanse, S. 55.
48 Vgl. Hammel-Kiesow: Hanse, S.11.
49 Vgl. Krause: Hanse, S. 55.
50 Ebd., S. 55.
51 Vgl. ebd., S. 55.
52 Ebd., S. 56.
53 Vgl. Braudel: Weltwirtschaft, S. 131
54 Vgl. Krause: Hanse, S. 25.
55 Vgl. Gilomen: Wirtschaftsgeschichte, S. 91.
56 Vgl. Braudel: Weltwirtschaft, S. 134.
57 Vgl. ebd., S. 133.
58 Vgl. ebd., Karten auf S. 135.
59 Gilomen: Wirtschaftsgeschichte, S. 114.
60 Vgl. Hammel-Kiesow: Netzwerk, S. 112f. Montanari: Hunger, S. 96 sowie Peter: Küche, S. 42. Montanari: Hunger, S. 96 gibt 140 bis 160 Fastentage an, Hammel-Kiesow: Netzwerk, S. 113 nennt 180 Tage; nach Schubert: Mittelalter, S. 105 sollen es maximal 230 Tage pro Jahr gewesen sein. Als Handelsgut hatte eingepökelter Hering eine ebenso grosse Bedeutung für die Hanse, doch wird dieser Aspekt hier nicht behandelt. Die weite Verbreitung von Stockfisch und Hering in Mitteleuropa kann durch folgende Nachweise belegt werden: Die Meraner Stadtordnung von 1317 spricht von „gesalzen, durre oder gruene fisch.“ Vgl. Schubert: Mittelalter, S. 130. Ihren Bedarf an konserviertem Meerfisch deckten süddeutsche Klöster im 15. Jahrhundert auf dem Markt in Nürnberg ein. Und für das in der Eifel gelegene Kloster Maria Laach ist neben dem Verbrauch von Süsswasserfischen auch der Verbrauch von geräuchtem oder gesalzenen Hering und Stockfisch um 1550 nachgewiesen. Vgl. Sarhage: Fishing, S. 63. Selbst weit im Binnenland gehörten Hering und Stockfisch zu den eher bezahlbaren Fischereierzeugnissen und die lange Lagerfähigkeit im Gegensatz zu Süsswasserfischen machte das Produkt attraktiv. Vgl. Lampen: Fischerei, S. 40.
61 Vgl. Lampen: Fischerei, S. 42.
62 Vgl. Braudel: Alltag, S. 224.
63 Lampen: Fischerei, S. 17.
64 Ein Mensch benötigt je Kilogramm Körpergewicht und Tag ungefähr 0,8 Gramm Protein.
65 Vgl. Braudel: Alltag, S. 51.
66 Braudel: Meer, S. 38 sowie S. 39. Vgl. auch Philippson: Mittelmeergebiet, S. 58f. Über die wirtschaftlich bedeutsamen Fischvorkommen im Mittelmeer vgl. Braudel: Alltag, S. 224f.
67 Vgl. Philippson: Mittelmeergebiet, S. 59.
68 Peter: Küche, S. 43.
69 Vgl. Kurlansky: Kabeljau, S. 116. Für die Gegenwart kann diese Aussage durch eigene Beobachtungen im November 2015 gestützt werden: In den Hallen des Mercat de L’Olivar in Palma de Mallorca bot ein Händler bacalo isländischer Herkunft in mindestens 20 verschiedenen Qualitäten an, andere Händler mindestens fünf Sorten, und auch auf den Wochenmärkten Mallorcas ist bacalo zu finden. Dieser ist mit grobem Salz haltbar gemacht; Stockfisch hingegen fand sich nirgends.
70 Vgl. Braudel: Alltag, S. 23.
71 Vgl. ebd., S. 51.
72 Vgl. Gilomen: Wirtschaftsgeschichte, S. 97.
73 Vgl. Braudel: Weltwirtschaft, S. 141.
74 Vgl. Braudel: Handel, S. 34. Der Historiker Hans-Jürg Gilomen gibt die Jahre von 1375 bis 1475 an. Vgl. Gilomen: Wirtschaftsgeschichte, S. 104.
75 Braudel: Weltwirtschaft, S. 141f.
76 Lampen: Fischerei, S. 6.
77 Vgl. Pierer: Universal-Lexikon, S. 575, Sp. 1.
78 Vgl., ebd., S. 576, Sp. 1.
79 Vgl. Esch: Überlieferungs-Chance, S. 535.

Literatur
Bautier, Anne-Marie: Marianne Mulon. Deux traités inédits d'art culinaire médiéval, dans Bulletin philologique et historique (jusqu'à 1610) du Comité des travaux historiques et scientifiques, année 1968, in: Bibliothèque de l'école des chartes 130, livraison 2, S. 618-619.

Beythien, A./Ernst Dressler (Hg.): Merck’s Warenlexikon für Handel, Industrie und Gewerbe. Beschreibung der im Handel vorkommenden Natur- und Kunsterzeugnisse unter besonderer Berücksichtigung der chemisch-technischen und anderer Fabrikate, der Drogen- und Farbwaren, der Kolonialwaren, der Landesprodukte, der Material- und Mineralwaren, Leipzig 1920 (7., völlig neu bearb. Aufl.).

Bohn, Robert: Geschichte der Seefahrt, München 2011 (C.H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe).

Braudel, Fernand: Der Alltag, Übersetzung aus dem Französischen von Siglinde Summerer, Gerda Kurz, Günter Seib, München 1990 (Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts 1).

Braudel, Fernand: Aufbruch zur Weltwirtschaft, Übersetzung aus dem Französischen von Siglinde Summerer und Gerda Kurz, München 1990 (Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts 3).

Braudel, Fernand: Der Handel, Übersetzung aus dem Französischen von Siglinde Summerer und Gerda Kurz, München 1990 (Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts 2).

Braudel, Fernand: Das Meer, in: Ders., Georges Duby, Maurice Aymard: Die Welt des Mittelmeeres. Zur Geschichte und Geografie kultureller Lebensformen, hrsg. von Fernand Braudel, Frankfurt am Main 2013 (2. Aufl.), S. 35-60.

Esch, Arnold: Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers, in: Historische Zeitschrift, 240(1985), S. 529-570.

Gilomen, Hans-Jörg: Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, München 2014 (C.H. Beck Wissen).

Grimm, Jakob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, 10. Band, 3. Abt.: Stob – Strollen, bearbeitet von Bruno Crome und der Arbeitsstelle des Deutschen Wörterbuches zu Berlin, Leipzig 1957.

Hammel-Kiesow, Rolf: Die Hanse. München 2000 (C.H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe).

Hammel-Kiesow, Rolf: Ein starkes Netzwerk – der hansische Handel, in: Ders., Matthias Puhle: Die Hanse, Darmstadt 2015 (2., überarb. Aufl.), S. 91-158.

Krause, Günter: Handelsschifffahrt der Hanse, Rostock 2010.

Kurlansky, Mark: Kabeljau. Der Fisch, der die Welt veränderte, aus dem Engl. von Ulrich Enderwitz, München 1999.

Lampen, Angelika: Fischerei und Fischhandel im Mittelalter. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Untersuchungen nach urkundlichen und archäologischen Quellen des 6. bis 14. Jahrhunderts im Gebiet des Deutschen Reiches, Husum 2000 (Historische Studien).

Montaigne, Michel de: Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581, übersetzt, herausgegeben und mit einem Essay versehen von Hans Stilett. Frankfurt am Main 2002.

Montanari, Massimo: Der Hunger und der Ueberfluss. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa, aus dem Italienischen übersetzt von Matthias Rawert, München 1993 (Europa bauen).

Peter, Peter: Kulturgeschichte der italienischen Küche, München 2007 (2. Aufl.).

Philippson, Alfred: Das Mittelmeergebiet. Seine Geographie und kulturelle Eigenart, Leipzig 1914 (3. Aufl.).

Pierer, H.A. (Hg.): Universal-Lexikon oder vollständiges encyclopädisches Wörterbuch, 10: Huss bis Karkos, Altenburg 1835.

Puhle, Matthias: Im Zeichen der „gemenen stede“ ‒ die Organisation der Hanse, in: Hammel-Kiesow, Rolf, Matthias Puhle: Die Hanse, Darmstadt 2015. (2., überarb. Aufl.), S. 53-90.

Querini, Pietro, Cristoforo Fioravante, Nicolò de Michiel: Naufragés, traduit du vénitien par Claire Judde de Larivière, Toulouse 2010.

Redon, Odile, Françoise Sabban, Silvano Serventi: A tavola nel Medioevo. Con 150 ricette dalla Francia e dall’Italia, prefazione di Georges Duby, traduzione di Maria C. Salemi Cardini, Roma 2005 (5. Aufl.).

Reichert, Folker: Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter, Stuttgart 2001.

Sahrhage, Dietrich, Johannes Lundbeck: A history of fishing, Berlin 1992. Schubert, Ernst: Essen und Trinken im Mittelalter, Darmstadt 2010 (2., unveränd. Aufl.).

Elektronische Publikation
Confraternita del Bacalà alla Vicentina: Storia e tradizione, http://baccalaallavicentina.it/storia-e-tradizione

Abbildungnachweis
1 Guyan, Walter Ulrich.: Lofotfischerei und Heringfang, in: Geographica Helvetica, 9(1954), S. 314 http://retro.seals.ch/digbib/view2?pid=ghl-003:1954:9::351

2 Hammel-Kiesow, Rolf: Ein starkes Netzwerk – der hansische Handel, in: Ders., Matthias Puhle: Die Hanse, Darmstadt 2015 (2., überarb. Aufl.), S. 112.

3 Braudel, Fernand: Der Handel, Übersetzung aus dem Französischen von Siglinde Summerer und Gerda Kurz, München 1990 (Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts 2), S. 135.

4. Trockenanlage für Stockfisch in Stamsund, Lofoten (NO). Fotografie von Stefan Kern im Jahr 2000

Samstag, 28. November 2015

2018 SCAR/IASC Conference in Davos (Switzerland)

Building on the success of the 2008 SCAR/IASC Conference in St. Petersburg (Russia) and two subsequent conferences within the International Polar Year, the 2018 SCAR/IASC Conference will be hosted by the Swiss Committee on Polar and High Altitude Research in Davos, Switzerland on 15-27 June 2018. The Conference will include SCAR, IASC and other business and satellite meetings, an Open Science Conference and the SCAR Delegates' Meeting. (SCAR)

Scientific Committee on Antarctic Research (SCAR)
International Arctic Science Committee (IASC)
Swiss Committee on Polar and High Altitude Research

Donnerstag, 22. Oktober 2015

«Geisterwelten & Transformationen. Spirituelle Bilder und Skulpturen der Inuit» - Ausstellung ab 31. Oktober 2015 in der Galerie Central, Zürich

Zum ersten Mal werden auch Arbeiten aus Walknochen in der Galerie zu sehen sein. Inuit nutzten lange Zeit verwitterte Walknochen, um Werkzeuge und Zeltbefestigungen herzustellen. In Pangnirtung, Igloolik und anderen Orten sind ausserdem imposante Kunstwerke aus den Wirbelknochen von Walen entstanden. Die Vorstellungskraft der Inuit und ihr sensibler Umgang mit der Natur werden in diesen Werken auf besondere Weise sichtbar. Skulpturen können nur dann aus Knochen entstehen, wenn diese 50 bis 100 Jahre der Verwitterung ausgesetzt waren. Es handelt sich dabei also immer um gealtertes Material. Für Kunstwerke wurden keine Tiere getötet. Die Materialien unterliegen jedoch strengen Artenschutz-Bestimmungen und ihr Handel ist erschwert. Das hat dazu geführt, dass Inuit eine Einkommensquelle verloren haben und kaum noch Kunstwerke aus Walknochen herstellen. In Zukunft werden es Museen und Sammler älterer Objekte sein, die diese Kunstform bewahren. Die in der Galerie gezeigten Arbeiten sind zwischen 1973 und 1975 bereits in die Schweiz gelangt. (Jeannine Bromundt)

Galerie Central (Zürich)

Samstag, 29. August 2015

Ringvorlesung: Norwegen, Spitzbergen und die Arktis (Volkshochschule Zürich, Winter 2015/16)

Wikinger, Pioniere, Forscher: Abenteurer- und Entdeckertum sind eng mit Norwegen, Spitzbergen und der Arktis verbunden. Daneben faszinieren Fjorde und Tafelberge, arktische Eisdynamik und das Leben im Eis. Wie beeinflussen Golfstrom und Meteorologie der Pole Gross-Wetterlagen? Welchen Herausforderungen stellen sich heutige Abenteurer? (Konzept: Robert Budaváry)

Prof. Dr. Heinz Wanner (Norwegen und die Arktis: Klima, Geographie, Nordmänner), Prof. Dr. Adrian Pfiffner (Fjorde, Fjells und Tafelberge: Werden und Vergehen des kaledonischen Gebirges), Prof. Dr. Konrad Steffen, Direktor WSL (Das Eis der Arktis: Dynamik, Bedeutung, Prognosen), Lebensraum arktisches Meer (Dr. Michael Wenger), Auf den Spuren von Fridtjof Nansen: moderne Abenteurer in der Arktis (Thomas Ulrich, Fotograf, Filmer, Abenteurer), Golfstrom, Pol-Meteorologie und Gross-Wetterlagen (Thomas Bucheli).

Montag, 4.1. – 8.2., 6x, 19:30 – 20:45, Uni Zürich-Zentrum, Fr. 140.-

Weitere Informationen Volkshochschule Zürich

Virgohamna, links Smeerenburg sowie Noorderlicht (Spitzbergen). Stefan Kern/Polararchiv Schweiz

Dienstag, 28. Juli 2015

Bundes- oder Nationalfeiertag (1. August) 1954 an der "arktischen Riviera"


Improvisation war im Sommer 1954 in Nathorst Land im innersten Scoresby Sund von Nordost-Grönland gefragt, um den Bundes- oder Nationalfeiertag der Schweiz stilgerecht mit einem Feuer zu begehen.

Eduard Wenk (1907-2001), der Leiter der Expeditionsgruppe und Professor für Mineralogie und Petrografie an der Universität Basel, sowie seine beiden Assistenten, Rechtsanwalt Oliver Wackernagel und Internist Hans-Peter "Hape" Buess (1920-1997), behalfen sich mit einer Hose aus dem berüchtigten Manchester-Stoff, Heidekraut und Zeltstange.


Die auf Kodachrome aufgenommene Aufnahme stammt von Hans-Peter Buess. Er war während der Sommer 1951, 1953 und 1954 im Rahmen der Lauge-Koch-Expeditionen in Nordost-Grönland tätig. („Persönliche Aufgabe: Mädchen für alles, wie jeder andere auch. Proviantnachschub, Vorverlegung, Rekognoszierung. Koch. Arzt!“ Aus Notizen zu einem Vortrag im Bernoullianum in Basel.) Sein umfangreicher photografischer und schriftlicher Nachlass liegt im Polararchiv Schweiz.

"Arktische Riviera" bezieht sich auf den Titel einer im Jahr 1957 im Berner Verlag Kümmerly & Frey erschienenen Monographie von Ernst Hofer (1902-1987). Der von 1925 bis 1967 bei der Eidgenössischen Landestopographie in Wabern tätige Spezialist für terrestrische Photogrammmetrie hielt sich auf Einladung der Lauge-Koch-Expeditionen während den Sommern 1949, 1950, 1951 und 1954 ebenfalls in Nordost-Grönland auf. Seine aus eigener Initiative entstandenen s-/w und farbigen Aufnahmen wurden 1957 auch in einer französisch- und in einer englischsprachigen Ausgabe veröffentlicht, 1960 auch in einer Italienischen.

Mittwoch, 10. Juni 2015

1st Central European Polar Meeting (Vienna, Austria, 10th – 13th November 2015)

The 1st Central European Polar Meeting will bring together polar researchers including distinguished scientists and the next generation of polar researchers, from Central European countries and around the globe. This meeting is one of the first international activities of the newly established Central European Polar Partnership, which aims at increasing the visibility and coordinating polar research in and among the participating countries.

http://www.polarresearch.at/conference/

Zum 100. Todesjahr Julius Payers ist im Tyrolia Verlag eine Biographie erschienen - fast 60 Jahre nachdem die letzte umfangreiche Arbeit über das Leben und Werk dieses begnadeten Zeichners und Malers, Bergsteigers und Schriftstellers publiziert wurde.

"Der im nordböhmischen Kurort Teplitz-Schönau geborene Payer war ein Mann mit vier Karrieren. Als Alpinist führte er innerhalb von fünf Jahren 21 Erstbesteigungen im Adamello-Presanella-Gebiet und 38 Erstbesteigungen im Ortler-Gebiet durch. Als Polarfahrer entdeckte er im Zuge einer spektakulären Expedition, die mehr als einmal auf des Messers Schneide stand, neue Gebiete in Nordostgrönland (1869/1870) und auf Franz-Josef-Land (1873/1874). Als Schriftsteller verfasste er die geografischen Grundlagenwerke zu fünf Gebieten der Ostalpen und landete mit seinem polaren Reisebericht, einen österreichischen Bestseller des 19. Jahrhunderts. Als Historienmaler war er ausserdem mit seinen Monumentalgemälden für kurze Zeit weltberühmt.

Frank Berger, geb. 1957, ist promovierter Historiker und Kurator am Historischen Museum Frankfurt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen: Numismatik, Wissenschaft und Forschung, Technik und Industrie. Frank Berger beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte der Polarforschung und hat bereits zahlreiche Bücher zum Thema publiziert." (Tyrolia Verlag)

Freitag, 5. Juni 2015

Die Naturforschenden. Auf der Suche nach Wissen über die Schweiz und die Welt, 1800–2015.

Herausgegeben von Patrick Kupper und Bernhard C. Schär. Mit Beiträgen von Alban Frei, Pascal Germann, Remo Grolimund, Lea Haller, Flavio Häner, Franziska Hupfer, Tobias Krüger, Patrick Kupper, Sibylle Marti, Lukas Meier, Lea Pfäffli, Serge Reubi, Bernhard C. Schär, Tobias Scheidegger, Alexis Schwarzenbach. Verlag Hier und Jetzt (Baden)

„Die Schweiz ist global vernetzt. Zu verdanken hat sie dies nicht zuletzt den Schweizer Naturforschenden, die seit dem 18. Jahrhundert die Welt erkundet und sich grenzüberschreitend mit anderen Wissenschaftlern ausgetauscht haben. Die Forschenden selbst sind jedoch kaum bekannt. Das Buch schliesst diese Lücke. 15 Autorinnen und Autoren beleuchten die Biografien von Naturwissenschaftlern und Naturwissenschaftlerinnen. Sie erklären, wie die Forschenden zu ihren Entdeckungen, Einsichten und Irrtümern kamen und wie sie dabei in den letzten 200 Jahren den Wissenschaftsstandort Schweiz mit aufbauten. Bekannte historische Persönlichkeiten wie Louis Agassiz oder Albert Einstein werden neu beleuchtet, bislang vernachlässigte Figuren wie Clémence Royer oder Boukary Porgo werden in ihrer Bedeutung für die Naturwissenschaften und die Schweiz sichtbar.“ (Verlag Hier und Jetzt)

Der Beitrag von Lea Pfäffli, Doktorandin am Lehrstuhl für Technikgeschichte der ETH Zürich, „Diplomatie statt Heldentum. Robert Haefeli, die Schweizer Polarforschung und der Kalte Krieg.“ interessiert hier natürlich speziell. Zum Volltext.

"Wie die Schweiz das Ranking erfand und zur Wissenschaftsnation wurde." Interview mit Bernhard C. Schär und Lea Pfäffli von Florian Meyer (ETH Zürich, News, 13.8.2015) ETH Zürich, News

Mittwoch, 22. April 2015

Thomas Ulrich bricht Testlauf vom Nordpol zur kanadischen Küste ab

Thomas Ulrich teilte seinem Expeditionsmanager Hans Ambühl letzten Freitag per Satellitentelefon mit, dass er seinen 800 Kilometer weiten Marsch vom Nordpol nach Ward Hunt Island an der kanadischen Küste wegen zu grosser Risiken abbreche.

"Ulrich sei sich immer bewusst gewesen, dass sowohl die Testexpedition als auch die Arktis-Überquerung im nächsten Jahr 'die kompromisslose Akzeptanz eines unlimitierten Risikos voraussetzen'", ist in der heutigen Ausgabe des Tages-Anzeigers zu lesen.

Hans Ambühl weiter: "Einerseits bin ich natürlich überrascht und auch enttäuscht über das schnelle Ende der Expedition. Auf der anderen Seite bin ich aber auch stolz und glücklich, dass Thomas auf der Testexpedition die Antwort auf eine sehr zentrale Frage gefunden hat und sich aus eigenem Antrieb und nicht aufgrund einer Verletzung oder einer Notfallsituation für den Abbruch entschieden hat." Thomas Ulrich soll gestern die russische Eisstation Barneo erreicht haben.

Eintrag vom Juni 2013 im Polararchiv Schweiz. Homepage und Webshop von Thomas Ulrich

Bild: Tages-Anzeiger / zvg

Donnerstag, 19. März 2015

„4 Mann im Zelt à la Sardine.“ Eine Expedition des Schweizer Geologen Adolf Ernst Mittelholzer im März und April 1939 in Nordost-Grönland, von Stefan Kern

Europa war schon tief in der Krise, als im Frühsommer 1938 einige Schweizer Geologen über Dänemark und Island zu einer Reise nach Nordost-Grönland aufbrachen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im März 1938 hatte die Tschechoslowakei im Mai einen Teil seiner Armee mobilisiert. Schon im Dezember des Vorjahres hatte Hitler Weisungen an die Wehrmacht erlassen, die Eroberung der Tschechoslowakei planerisch vorzubereiten und im Mai 1939 stand für ihn der Entschluss zur Eroberung der Tschechoslowakei fest.

Der promovierte Geologe Adolf Ernst Mittelholzer und der kaufmännische Angestellte Ernst Bachmann waren Mitglieder dieser Reisegruppe. Als die beiden Forscher nach mehr als einem Jahr in Nordost-Grönland mit dem Zug von Kopenhagen in die Schweiz heimfuhren, hatte sich die Krise politisch und militärisch weiter zugespitzt. Unmittelbar nach seiner Rückkehr wurde Adolf Ernst Mittelholzer zum Aktivdienst einberufen. 1941 erschienen in Dänemark – das neutrale Land war im April 1940 von den Nazis okkupiert worden – die wissenschaftlichen Ergebnisse Mittelholzers dieser Expedition in der seit 1879 erscheinenden Reihe „Meddelelser om Grønland“.

Lebenslauf
Geboren wurde Adolf Ernst Mittelholzer am 10.11.1906 in St. Gallen. Nach dem Besuch der dortigen Schulen studierte er von 1926 bis 1933 Geologie, Mineralogie und Petrographie und im Nebenfach Zoologie und Botanik an der ETH. Von 1933 bis 1937 war er als Hilfslehrer für Chemie und Physik am Städtischen Gymnasium in Bern tätig. Mit einem „Beitrag zur Kenntnis der Metamorphose in der Tessiner Wurzelzone mit besonderer Berücksichtigung des Castionezuges“ promovierte er 1936 beim Mineralogen und Petrographen Paul Niggli (HLS) an der ETH. Kurz nachdem er eine Stelle als Bezirkslehrer in Rothrist angetreten hatte – seit 1933 war er mit Margarethe Windrath verheiratet, mit der er zwei Kinder hatte –, nahm er eine Einladung zu einer Expedition nach Nordost-Grönland unter Leitung des dänischen Geologen Lauge Koch (1892-1964; Wikipedia) an. Sie dauerte vom Juni 1938 bis September 1939.

1. Die Goodthaab im Treibeis vor Nordost-Grönland im Jahr 1938.
Nach seiner Rückkehr wurde Mittelholzer zum Aktivdienst einberufen, wo er zum Meteorologen ausgebildet wurde. Von 1946 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1972 unterrichtete er Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer an der Bezirksschule im aargauischen Kulm. Adolf Ernst Mittelholzer verstarb am 21.5.1984.

Die Reise im März und April 1939
„Letzter Sonnenblick“ notierte Mittelholzer am 8. November 1938 in sein Feldbuch – erst um den 2. Februar sollte die Sonne wieder zu sehen sein. Seit Ende August 1938 lebten er und sein Assistent Peter Bachmann, von ihm sind bisher keine weiteren biographischen Details bekannt, auf der Station Eskimonæs (74° 05.7´ N 21° 16.8´ W) an der Südküste von Clavering Ø (73° 17.0‘ N 21° 08.0‘ W; Wikipedia). Die Insel wurde von der Expedition Karl Kolldeweys 1869/70 nach Douglas Charles Clavering benannt, der die Küstengewässer Ostgrönlands im Jahr 1823 befahren hatte.

2. Funkstation der Station Eskimonæs.
Die an der Südküste der Insel gelegene Station Eskimonæs mit vier Gebäuden war 1931 von der Expedition Lauge Kochs errichtet worden. Ausgerüstet mit einer Funkstation, diente die Station von 1941 bis 1943 der Nordøstgrønlands Slædepatrulje (Wikipedia) als Hauptquartier. Während des Zweiten Weltkriegs, im März 1943, wurde das Hauptgebäude vom deutschen Marinewetterdienst zerstört und das Gelände im Mai des gleichen Jahres von der US Air Force bombardiert. Im Winter 1938/39 wurde die Station vom Dänen Ib Poulsen geleitet, der wie sein Landsmann Niels Ove Jensen, das Funkgerät bedienen konnte. Die beiden Grönländer Jakob Senimoinaq und Christian Arke arbeiteten auf Eskimonæs als Schlittenführer.

Stationsleiter Poulsen schloss sich im Jahr 1942 der Nordøstgrønlands Slædepatrulje an und wurde 1948/49 Leiter der Danmarkshavn Weather Station. Jensen wurde 1941 vom US-amerikanischen Commander Edward Hanson Smith zu einem der Kommandanten der Nordøstgrønlands Slædepatrulje ernannt und 1942 nach West-Grönland evakuiert. Von 1943 bis 1944 leitete er die Station Dødemandsbugten und von 1944 bis 1945 die Station Daneborg.

3. Auf Hudson Land kamen Islandponys zum Einsatz.
Nach ihrer Ankunft in Nordost-Grönland im Sommer 1938 arbeiteten Mittelholzer und Bachmann in einer Gruppe unter Leitung des Schaffhauser Geologen Heinrich Bütler in Hudson Land (73° 53.0‘ N 23° 18.0‘ W). Von dort wurden sie im Herbst nach Eskimonæs geflogen.

Geologen aus der Schweiz waren ab 1932 an den Expeditionen Lauge Kochs beteiligt, und mehrere von ihnen kannten die Anforderungen an eine Überwinterung bereits aus eigener Erfahrung. So hatten von 1932 bis 1938 bereits sieben Schweizer Geologen in Nordost-Grönland überwintert. Da es der Godthaab im Sommer 1937 nicht gelungen war, den Treibeisgürtel vor der Küste zu durchqueren und deshalb nach Dänemark zurückkehren musste, mussten Wolf Maync, Hans Stauber und Andreas Vischer zweimal dort überwintern.

4. Eskimonæs mit Antenne, Zwinger und Fleischgestell 1938/39.
Neben Fachkenntnissen und einer intakten körperlichen und mentalen Verfassung war eine weitere Voraussetzung für eine Überwinterung, dass die Teilnehmer sich von beruflichen oder familiären Verpflichtungen frei machen konnten. Mittelholzer dankte in seinem 1941 in Kopenhagen publizierten Forschungsbericht denn auch der Erziehungsdirektion des Kantons Aargau und der Schulpflege der Gemeinde Rothrist für die Bewilligung für einen sechzehnmonatigen Urlaub vom Schuldienst.

Eine Überwinterung ermöglichte es, dass die Periode vom Frühjahr bis zum Aufbrechen des Meereises im Frühsommer für Schlittenreisen auf dem Meereis der Fjorde genutzt werden konnte. Da die Niederschläge in Nordost-Grönland gering ausfallen, im Winter also nur wenig Schnee liegt, ist das zu untersuchende Gelände relativ gut begeh- und untersuchbar (in Wasseräquivalent beträgt der Jahresniederschlag 15 bis 20 Zentimeter).

Für seinen Auftrag reiste reiste Mittelholzer mit Peter Bachmann von Mitte März bis Anfang August 1939  während ingesamt etwa 15 Wochen zu Fuss, mit Hundeschlitten und mit einem Boot. An Hand seiner Eintragungen und Fotografien vom Beginn der ersten, drei Wochen dauernden Expedition im März und April 1939, soll hier auf die Charakteristik einer solchen Unternehmung und auf die Arbeitsweise Mittelholzers näher eingegangen werden.

Die Eintragungen im Feldbuch vom 12. bis 16. März 1939 
„Abfahrt“ notierte Mittelholzer am 12. März in sein Feldbuch (Zeile 3). Die Angaben zur ersten Etappe datieren jedoch vom 14. März. Der scheinbare Widerspruch kann damit erklärt werden, dass zwar am 12. März gestartet wurde, die zurückgelegte Strecke vom Ausgangspunkt bis zum Kap Oetker aber erst am 14. März von Mittelholzer notiert wurde. Doch auch eine andere Erklärung ist denkbar: Da die Strecke nur etwa 30 Kilometer beträgt, ist es unwahrscheinlich, dass dafür drei Tage benötigt wurden. Möglicherweise war es während der ersten beiden Tage zu Verzögerungen bei der Abreise gekommen und die Gruppe war in Eskimonæs geblieben. Und dann war am 14. März die ganze Etappe zurückgelegt worden.

5. Feldbuch mit Eintragungen vom 12. bis 16. März 1939 (Transkription am Schluss des Beitrags).
Die Notiz „4 Mann im Zelt à la Sardine“ (Zeilen 5 und 6) ist wohl wörtlich zu verstehen: Dass die vier Männer wegen der engen Platzverhältnisse im Zelt wie Ölsardinen schlafen mussten, also Kopf gegen Füsse und wieder Kopf gegen Füsse. Das Depot (Zeile 14) war möglicherweise schon im Sommer 1938 vorbereitet worden, konnte aber auch von einer früheren Expedition stammen. Auf Zeile 14 ist Moskusschlachten notiert. Dies hing möglicherweise damit zusammen, dass am Ende des Winters nur noch wenig Futter für die Hunde auf der Station vorhanden war bzw. mitgenommen werden konnte; es bestand gewöhnlich aus Saiblingen, die sommers in den Fjorden gefangen wurden. Vielleicht sollte den Hunden auch einfach Frischfleisch verschafft werden, was auch den Zweibeinern zugute kam.

6. Mittelholzer im Frühsommer 1939.
Fotografien
Mittelholzer verwendete zwei Kameras: Eine Leica für Kleinbild-Film in Patronen und eine Rollei für Rollfilm (sogenanntes Mittelformat). Eine Leica ist leicht und kompakt, eine Rollei hingegen relativ schwer und sperrig. Aufnahmen mit der Rollei hatten den Vorteil, dass auf dem Rollfilm bedeutend mehr Informationen „gespeichert“ werden konnte, als auf dem dreieinhalb Mal kleineren Format eines Kleinbildfilms. Beide Kameras gehörten wegen ihrer mechanischen Zuverlässigkeit und ihrer optischen Qualität zum Besten, was damals erhältlich war. Ein Vergleich der Aufnahmen vom jeweiligen Kameratyp zeigt, dass Mittelholzer die Leica spontan einsetzte. Für Aufnahmen geologischer Funde oder vom Terrain – also für statische Aufnahmen – nutzte er hingegen die Rollei. Oft nahm er mit ihr auch ganze Gebirgszüge auf, deren Kontaktkopien später zu Panoramen zusammengesetzt wurden. Praktisch alle Aufnahmen in den Feldbüchern sind nummeriert. Nach dem Kameratyp steht die Zählung des Films (Zeile 1 in Abbildung 1 bzw. der Transkription), darauf die fortlaufende Nummerierung der Aufnahme, die mit Stichworten ergänzt wurde (Zeilen 1 bis 3). Oftmals notierte Mittelholzer auch Blendenöffnung und Verschlusszeit. Diese Werte ermöglichen die Ermittlung der optimalen Zeit bei der Filmentwicklung zur Steigerung oder Reduktion des Kontrasts. Aus diesen Werten lassen sich für Vergrösserungen auf Papier auch Rückschlüsse auf die optische Qualität des Negativs ziehen.

Eingangs zu den wissenschaftlichen Beobachtungen ist jeweils das Datum, gefolgt von der zurückgelegten Route sowie Angaben zu Witterung und Temperatur angegeben. In späteren Einträgen hielt er auch die Luftdruckwerte fest; sie konnten überlebenswichtige Hinweise auf die Entwicklung des Wetters geben. 

7. Kartenausschnitt mit Reiseroute, den Stationen und Hütten sowie die Arbeitsgebiete.




































Unter den weit über tausend Aufnahmen Mittelholzers finden sich nur drei Gruppenbilder. Zwei davon entstanden an Weihnachten und zeigen die festlich gekleidete Besatzung von Eskimonæs um einen geschmückten Tisch. Auf untenstehendem Bild sind der Leiter der Station und Telegraphist Ib Poulsen und die beiden grönländischen Schlittenführer Christian Arke und Jakob Senimoinaq abgebildet. Arke trägt eine Hose aus Eisbärenfell, während die beiden anderen europäische Kleidung tragen. Alle drei tragen Kamikker, die fellgefütterten Schneestiefel der Inuit.

8. Poulsen, Arke und Senimoinaq im März 1939.
Zu Beginn der Reise, und bis zum 15. März, wurden zwei Nansenschlitten verwendet (siehe unten Bild 218). Im Gegensatz zum breiten und schweren Schlitten der Grönländer, ist dieser Schlittentyp schmal und leicht gebaut. Der Schattenwurf auf Bild 219 zeigt, dass derjenige von Mittelholzer nicht beladen war. Das ermöglichte es ihm wohl, nach der idealen Fahrroute auf dem Meereis zu suchen oder nach Jagdbeute Ausschau zu halten. Mindestens zwei der Reisenden verwendeten Skis, wie auf den Aufnahmen 222 und 236 zu erkennen ist. Den Moschusochsen-Kälbern, die von einem losgebundenen Hund gestellt sind, näherte sich Mittelholzer bis auf eine Distanz von etwa 5 Metern (Bilder 228 bis 230).

9. Kleinbild-Aufnahmen, die mit einer Leica zwischen dem 12. bis zum 16. März 1939 aufgenommen wurden.








































Kontextualisierung
19jährig reiste Lauge Koch 1913 zum ersten Mal in die Arktis. Mit dem Vorsteher der Forschungsstation auf der westgrönländischen Insel Disko, Morten Porsild, und dem Schweizer Glaziologen Wilhelm Jost unternahm er dort zwei ausgedehnte Reisen (vgl. "Jost auf Disko", Teil 1 und 2 PACH). Nach einem Geologiestudium und entbehrungsreichen Lehrjahren leitete er während mehr als drei Dekaden ein höchst aufwendiges Forschungsprogramm. Dessen primäres Ziel war die geologische Untersuchung und Kartierung eines Gebietes, das sich vom Scoresby Sund auf dem 70. bis zum 83. Nördlichen Breitengrad des Kap‘ Morris Jesup erstreckt. Seit 1974 bzw. 1988 ist es der grösste Nationalpark der Welt.

Dieses Forschungsprogramm begann 1926 und nach der Unterbrechung durch den 2. Weltkrieg wurde es von 1947 bis 1958 fortgesetzt. Im Jahr 1932 nahm der Geologe Eugen Wegmann (1896-1982; HLS) als erster Schweizer daran teil und bis 1958 arbeiteten etwa 80 Schweizer Forscher und Alpinisten daran mit. Im Jahr 1965 schliesslich veröffentlichte John Haller (HLS sowie Harvard University Library) nach über zehnjähriger Kompilationsarbeit in Kopenhagen, wo er beim dänischen Grönlandministerium angestellt war, die erste tektonische Karte Ostgrönlands im Massstab 1: 500‘000.

10. Waidmanns Glück: Ernst Bachmann im Frühsommer 1939.
Resümee
Geschaffen als Grundlage für wissenschaftliche Berichte, geben die Feldbücher Mittelholzers einen Einblick in die Arbeitsweise eines ambitionierten Geologen. Der Untertitel seiner 1941 publizierten Arbeit („Vorläufiger Bericht […]“) weist darauf hin, dass ihm eine umfangreichere Publikation vorschwebte. Im Vorwort dieser Arbeit schrieb er: „Die Resultate sind daher nur als vorläufige zu betrachten. Andererseits werden in einzelnen Abschnitten bereits Détails publiziert, um die bisher gewonnenen Ergebnisse gegen alle Zufälle der Kriegszeit zu sichern.

Nicht alle seiner meist stichwortartig festgehaltenen Notizen weisen jedoch wissenschaftlichen Charakter auf: Erlebnisse hielt er, zwar sparsam, auch fest. Und was sich emotional etwa hinter einer Tabelle mit Fiebertemperaturen über Tage verbirgt, lässt sich nur erahnen –, es ist das Zeugnis einer Sepsis die Peter Bachmann erlitt. Auf die Unterschiede der Aufnahmen, die Mittelholzer mit zwei verschiedenen Kameratypen machte, wurde hingewiesen: Die Leica-Aufnahmen bilden eine Art „Subtext“, sie weisen die Charakteristik einer Erzählung auf.

Jeder Teilnehmer der Expeditionen Lauge Kochs war verpflichtet, die wissenschaftlichen Ergebnisse in den monumentalen „Meddelelser om Grønland“ zu veröffentlichen. Von 1879 bis 1983 erschienen, enthalten sie Arbeiten zur Geographie, Geologie und Zoologie Grönlands, auch zur Archäologie und Botanik. So wurden auch unzählige Dissertationen und Monographien von Schweizer Wissenschaftern darin publiziert. Wie intensiv die Kontakte zwischen Dänemark und der Schweiz waren, lässt sich auch daran ablesen, dass die Naturforschende Gesellschaft Schaffhausen im März 1939 eine zweitägige Tagung über Grönland durchführte und die Ergebnisse im Jahr darauf veröffentlichte.

Was zeichnete diese Schweizer Geologen aus? Viele waren aktive Mitglieder in Alpenclubs, wussten sich also in schwierigem Gelände zu bewegen. Zum Fachlichen hielt der Nestor der Alpengeologie Rudolf Trümpy 2006 fest: „[…] Schweizer Geologen genossen einen ausgezeichneten Ruf, dank einer Ausbildung, die grosses Gewicht auf die Feldarbeit legte. Absolventen der Schweizer Institute fanden leicht Stellen bei internationalen Erz- und Erdöl-Firmen; an der weltweiten Erdöl-Exploration hatten sie massgeblichen Anteil.“ Mindestens ein Dutzend dieser „Grönland-Schweizer“ setzte die Karriere auf diesem Gebiet fort. Erst kürzlich eine Monographie von Monika Gisler über Schweizer Erdölgeologen mit dem Titel „Swiss Gang – Pioniere der Erdölexploration“ veröffentlicht. Eine moderne Darstellung über die Beiträge des Binnenlandes Schweiz zur Polarforschung fehlt hingegen noch.

Der Nachlass
Es handelt es sich um den ältesten und umfangreichsten bisher bekannten Nachlass eines Schweizer Teilnehmers der Expeditionen unter Leitung des dänischen Geologen Lauge Koch. Erschlossen ist er nach dem massgebenden Standard für die Verzeichnung von Archivalien ISAD(G) und gegliedert in: Handschriftliche Aufzeichnungen, Fotografien, Karten, Korrespondenz, Vorträge, Schulfunk, gedruckte Materialien sowie Miscellanea.

Das Feldbuch dient dem Geowissenschafter zum Festhalten seiner Befunde. Von Mittelholzer sind drei Feldbücher überliefert. Äusserlich identisch, sind sie 22 cm hoch und 15 cm breit. Ihre Einbände sind in grobes schwarzes Textilgewebe gebunden und die jeweils etwa 70 unlinierten Blätter sind fadengeheftet. Wegen des damals in der Papierherstellung häufig verwendeten Holzstoffs weisen die Seiten die typische gelbliche Verfärbung auf. Mittelholzer verwendete Bleistift für seine Aufzeichnungen, für Skizzen zusätzlich auch Farbstifte. Seine Eintragungen beginnen am 5. August 1938 und enden am 31. August 1939. Zwischen dem 2. Dezember 1938 und dem 11. März 1939 machte er keine Aufzeichnungen.

Eine weitere Quelle sind zwei in Wachstuch gebundene Notizhefte im Format 17 x 11 cm. Die nahezu täglich vorgenommen Einträge beginnen am 22. Juni und enden am 30. August 1938. Im zweiten Heft beginnen sie am 13. Mai 1939 und enden am 4. September 1939. Der überwiegende Teil dieser Aufzeichnungen ist in stenographischer Schrift abgefasst.

Weiter liegen über tausend Fotografien auf Film der Marke „Agfa Isopan F“ vor; in Form von Negativen jedoch lediglich die Kleinbild-Aufnahmen. Von sämtlichen Aufnahmen existieren jedoch Kontaktkopien. Eine Kontaktkopie wird hergestellt, indem das Filmnegativ zwischen ein Stück Fotopapier und eine Glasplatte gepresst, belichtet und entwickelt wird; diese sind in sechs Schulhefte eingeklebt.

Welchen Stellenwert die Fotografien für Mittelholzer hatten, geht aus der Einleitung seines 1941 in Kopenhagen erschienenen wissenschaftlichen Berichts hervor: „Wegen des Kriegsausbruches musste dieser Bericht bald nach Beendigung der Feldarbeit und z.T. im Militärdienst abgeschlossen werden, ohne dass das umfangreiche photographische Material und die petrographische Sammlung ausgenützt werden konnten“.

11. "Grantagletscher Talmündung → E". Aufnahme vom 3. April 1939 mit einer Rollei.












Diese Sammlung mit den Handstücken besitzt die Universität Basel möglicherweise heute noch, denn John Haller, von 1965 bis zu seinem Tod 1984 Professor für Geologie an der Universität Harvard, bat 1956  Mittelholzer brieflich um seine Feldbücher. Die Handstücke Mittelholzers befanden sich damals an der Universität Basel und Haller benötigte die Aufzeichnungen Mittelholzers zur Auswertung dieser Sammlung.

Transkription
In eckigen Klammern sind jeweils Ergänzungen gesetzt.

Erläuterungen zur Transkription
Titel: Dieser stammt von der gegenüberliegenden, sonst leeren Seite des Feldbuchs und bildet die Überschrift für die Eintragungen der Reise vom 12. März bis 4. April 1939. Tyroler Fjord: Von der Expedition Karl Koldeweys 1869-70 so benannt und erstmals erforscht (74° 28´ N 21° 12´ W). Payerland: Von der Expedition Lauge Kochs 1929-30 zum Andenken an die erstmalige Untersuchung dieses Gebiets durch Julius Payer im Jahr 1869 benannt (74° 30´ N 22° 30.0´ W).
Zeile 1: Mittelholzer verwendete die Schreibweise Kr[istian] für den Vornamen, während Schmidt Mikkelsen ihn mit Christian angibt.
Zeilen 1 bis 3: Der Wert 3,5 bezieht sich auf die Blendenöffnung, der zweite Wert auf die Belichtungszeit (1/100 Sekunde).
Zeile 4: Das Kap Oetker befindet sich im Südwesten von Clavering Ø (74° 15.3´ N 21° 59.8´ W). Benannt wurde es von der Expedition Karl Koldeweys 1869-70 zu Ehren des liberalen Publizisten und Politikers Friedrich Oetker.
Zeile 9: Die offizielle dänische Bezeichnung für die auf der Westseite der Revetpassage gelegene, 1927 errichtete norwegische Jagdstation Tyrolerheimen (74° 21.8´ N 21° 51.7´ W.) ist Revet. Die Hütte wurde 1928 neu errichtet, erhielt den Namen Moskusheimen und wurde bis 1960 benutzt.
Zeile 10: Bis 1938/39 hatte der norwegische Trapper Gerhard „City“ Antonsen bereits sechs Mal in Revet überwintert, davon vier Mal allein. Ende 1938 erlitt Antonsen einen schweren Unfall, der auch die Hilfe der Besatzung von Eskimonæs erforderte. Im Sommer 1939 musste er zur ärztlichen Behandlung nach Norwegen fahren und gab darauf seinen Beruf auf.
Zeile 12: Louise Elv bzw. Louisenelv (74° 24.1´ N 21° 8´ W): Fluss im NW von Clavering Ø, der in den Tyrolerfjord mündet und der von der Expedition Lauge Kochs 1929-30 benannt wurde.
Zeile 13: Rudi Bugt bzw. Rudis Bugt (74° 23.4´ N 21° 45.6´ W). Kleiner Fjord auf der NW-Seite von Clavering Ø, der von der Expedition Lauge Kochs 1929-30 als Rudi Bay zu Ehren des norwegischen Trappers Henry Rudi (1889-1970) benannt wurde. Mit „Föhre“ bezeichnete Mittelholzer eine Furt zwischen Clavering Ø und Payer Land, die bei Ebbe durchwatet werden kann.
Trangfjordeingang bzw. Trangfjorden (74° 27.2´ N 20° 57.9´ W). Von norwegischen Trappern ab etwa 1930 verwendeter Name für den engen Arm des Tyrolerfjords an der Nordseite von Clavering Ø.
Zeile 15: Moskus[schlachten] ist die dänische Bezeichnung für Moschusochsen. Wild kommen sie in den Tundren von Kanada und an der West- und Ostküste Grönlands vor.

Erläuterungen zu den Abbildungen 
Abbildung 1: Für Rekognoszierungsflüge führte die Goodthab eine mit Schwimmern versehene Heinkel mit. Feldbuch: Eintragungen vom 12. bis 16. März 1939 im Feldbuch Adolf Ernst Mittelholzers. Die Abbildung ist verkleinert wiedergeben und wurde unten leicht beschnitten, da sich dort keine weiteren Einträge befinden (Signatur: PACH-Mi 1.1.).
Abbildung 3: Vermutlich handelt es sich  bei der auf dieser Foto abgebildeten Mann um einen Isländer, dessen Name bisher aber nicht zu eruieren war. Eine Sequenz der Filmaufnahmen Heinrich Bütlers zeigen ihn auch auf einem wilden Ritt in der Tundra von Hudson Land.
Abbildung 7: Ausschnitt der 1933/34 aufgenommen und im Jahr 1939 vom Geodätischen Institut in Kopenhagen publizierten Karte „Clavering Ö“ (Massstab 1: 250‘000). Sie ist mutmasslich eine der weltweit ersten, die mit luftphotogrammetrischen Methoden hergestellt wurde. Die durchgegezogenen violetten Linien sind Reiserouten, die im Faksimile bzw. der Transkription erwähnt sind. Violett gestrichelte Linien markieren Routen, die vom 19. März bis 4. April zurückgelegt wurden. Die wichtigsten Arbeitsgebiete sind orange eingekreist. Rote Punkte markieren Stationen und Fängerhütten, die mit Sicherheit 1939 bestanden haben; auf der Karte des Geodätischen Instituts sind jedoch nicht alle damals bestehenden Hütten eingezeichnet. Mit einem Pfeil versehen ist Skrænthytten, die auf den Aufnahmen 234 bis 236 abgebildet ist, sie befindet sich jedoch auf der Nordseite des Flussdeltas. In Nordost-Grönland tragen Dutzende von Gipfeln und Gletschern Namen, die einen Bezug zur Schweiz haben; so unten links etwa die „Albert Heims Bjoerge“.
Abbildung 9: Die Kleinbild-Aufnahmen wurden für diesen Beitrag mit Bleistift nummeriert und verweisen auf die Zählung der Aufnahmen im Feldbuch Mittelholzers. Die in Klammern gesetzten Nummern bzw. Aufnahmen sind nicht im Feldbuch Mittelholzers notiert, aus diesem Grund fehlen auch Erläuterungen dazu. Die Aufnahmen 217, 222, 223, 226, 230 und 236 sind mit einem „V“ versehen. Vermutlich handelt es sich um eine Vorauswahl für Diapositive, die bei Vorträgen gezeigt werden sollten. Die zusätzlich mit einem roten Punkt versehene Aufnahme 230 wurde dann wohl auch tatsächlich hergestellt. Mittelholzer hielt u.a. am 21. Januar 1941 auch im Armeehauptquartier einen Vortrag.

Bei den Abbildungen 1 bis 4, 6 und 10 bis 11 handelt es sich um Mittelformat-, bei den Abbildungen 8 und 9 um Kleinbild-Aufnahmen, die von den Kontaktkopien digitalisiert wurden. (Zur Qualität der digitalisierten Abbildungen ist anzumerken, dass es sich hier ja nicht um einen Schönheitswettbewerb dreht.)

Literatur
Blümel, Wolf Dieter: Physische Geographie der Polargebiete, Leipzig 1999 (Teubner Studienbücher der Geographie).
Gisler, Monika: „Swiss Gang – Pioniere der Erdölexploration, Zürich 2014 (Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik 97).
Grönland, Tagung der Naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen, 11.-12.3. 1939, Schaffhausen 1940 (Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen 16).
Haller, John: Tectonic map of East Greenland, København 1965, Textband und drei mehrfarbige Karten im Massstab 1: 500‘000.
Higgins, Anthony A.: Exploration History and Place Names of Northern East Greenland, Copenhagen 2010 (Geological Survey of Denmark and Greenland Bulletin 21).
Köppchen, Ulrike/Hartwig, Martin/Nagel, Katja: Grönland, Welver 2005.
Menzi-Biland, Arthur: Der Anteil der Schweizer an der Erforschung Grönlands. Dänische staatliche Expeditionen nach Nord-Ost-Grönland unter der Führung von Dr. Lauge Koch (1926) - 1932-1954, Holzminden 1956 (Polarforschung 1. Beiheft).
Mittelholzer, Adolf Ernst: Beitrag zur Kenntnis der Metamorphose in der Tessiner Wurzelzone. Mit besonderer Berücksichtigung des Castionezuges, Zürich 1936. 
Mittelholzer, Adolf Ernst: Die Kristallingebiete von Clavering-Ø und Payer Land (Ost- Grönland). Vorläufiger Bericht über die Untersuchungen im Jahre 1938/39, København 1941 (Meddelelser om Grønland 114, 1941, 8). Quervain, Marcel de: Polarforschung, in: Schweizer Lexikon in sechs Bänden, 5, Luzern 1993, S. 193, Sp. 1 - S. 194, Sp. 2. 
Schmidt Mikkelsen, Peter: North-East Greenland 1908-60. The Trapper Era, Cambridge 2008.  
Stonehouse, Bernard: Tiere der Arktis. Leben und Lebensräume im hohen Norden, München 1974.
Trümpy, Rudolf: Geologie, in: Historisches Lexikon der Schweiz, 5, Basel 2006, S. 292, Sp. 2 - S. 294, Sp. 1.