Mittwoch, 31. Juli 2013

Jost auf Disko (Teil 2). "Wie die Felsen lockten! Es war ja erster August, und da sollte ein Schweizer etwas Rechtes tun!" - Zwei Expeditionen des Berners Wilhelm Jost auf der westgrönländischen Insel Disko vor hundert Jahren, von Stefan Kern

Kurze Zeit nach der Rückkehr Morten Porsilds, seines Sohns Thorbjörn und von Wilhelm Jost von der zweiwöchigen Schlitten-Expedition ins Innere der westgrönländischen Insel Disko im Mai 1913 (Post vom 19. Mai 2013) muss ein Versorgungsschiff in Godhavn eingetroffen sein.

An Bord befand sich auch der 19jährige Student Lauge Koch. Es war seine erste Reise in die Arktis. Beauftragt war er nach fossilen Pflanzen zu suchen. Persönlich war er an Ornithologie interessiert. Im Jahr 1929 promovierte er dann mit Stratigraphy of Greenland.

Im Rückblick auf diesen Sommer schrieb er: "Als die Reise wieder nach Süden ging und Grönlands Berge und Horizont verschwanden, war mein Entschluss gefasst: ich wollte die geologische Karte Nordgrönlands schaffen und die vorläufige Untersuchung des Landes abschliessen." (Koch 1928) Jahrzehnte später bilanzierte der französische Polarforscher Jean Malaurie seine Leistungen mit den Worten: "Über Generationen hinweg kann ihm auf diesem Feld kein anderer das Wasser reichen." (Malaurie 2003, S. 203)

Sein Onkel, der Infanteriehauptmann und Glaziologe Johan Peter Koch, befand sich in diesem Sommer noch weiter im Norden: Zusammen mit dem deutschen Geowissenschafter Alfred Wegener und zwei isländischen Kameraden gelang ihnen - nach Nansen im Jahr 1888 und de Quervain im Jahr 1912 - die dritte und bisher nördlichste Überquerung des Inlandeises.

Mitte Juli 1913 brachen Morten Porsild, Botaniker und Vorsteher der Arktischen Station in Godhavn, sein Sohn Thorbjörn, Wilhelm Jost und Lauge Koch sowie zwei Einheimische zur zweiten Expedition in diesem Jahr auf. Diesmal sollte mit der Clio borealis, einem kleinen Segel-Kutter mit Dieselmotor, die ganze Insel über die Ost- und die Nordküste umrundet werden.

Ende Juli erreichten sie die Westküste und liefen in den Nordfjord ein, den nördlichsten der drei Meeresarme, von dem dieser Teil der Küste geprägt ist.

"Wir hatten vor drei Tagen das Schiff verlassen, um im Stordal dem nördlichen der drei grossen Täler, die in den tief in die Insel Disco hineingreifenden Nordfjord einmünden, eine Kartenskizze aufzunehmen. Wenn möglich, sollte der Zusammenhang des Stordal mit dem grossen Tale festgestellt werden, dessen Gletscherende wir im Mai anlässlich unserer Durchquerung des Discoinsel auf Hundeschlitten untersucht hatten. Trotz der ungünstigen Witterung verlief diese Arbeit befriedigend. Die kurzen, lichten Augenblicke, die uns eine 150-300 m hohe Nebelschicht gewährte, wurden umso eifriger ausgenützt. Leider durften wir nicht mehr Zeit für diese Arbeit verwenden."

Blick aus dem Stordal in Richtung Südosten. Skizze nach einer Fotografie Porsilds (Jost 1919)













Nach ausgiebigem Schlaf, der den 60 Kilometern Wegstrecke ins Stordal und zurück geschuldet war (Punkt 1 auf der untenstehenden Karte), wachte Jost in der Kajüte der Clio borealis auf.

In seinem Bericht Augusttage an der Westküste der Discoinsel hielt er fest: "Und nun stand die Sonne am hellen Himmel und wob ihre Strahlen in den lichten Duft, der vom Nebel noch übriggeblieben war und die schwarzen, kahlen, furchtbar ernsten Basaltwände hinter einem lichtgrauen Schleier verbarg. So erschienen diese beänstigenden Riesenmauern in die undeutlichste Ferne gerückt. [...] Sie mahnte mich an meine Pflicht. Neun Uhr war vorbei und die Terminbeobachtungen waren noch nicht gemacht. Da gewahrte ich erst, dass am Hinterteil des Bootes zwei Fähnchen im Winde wehten, beide rot und weiss, wie zwei Geschwister, das Dannebrogkreuz und das Schweizerkreuz. Es war heute der erste August, unser Bundesfeiertag. Wie hatte mein liebenswürdiger Wirt und Freund, der die Schweiz wohl kennt, das Fähnlein plötzlich herbekommen?

[...] Nachmittags fuhren wir über den Fjord und legten unter den Steilabstürzen des Südufers an. Tausend und mehr Meter hoch springen hier die schwarzen Basaltwände empor. Wie mächtige Bretter liegen die wenig gestörten Schichten übereinander. Säulenbasalt und basaltische Tuffe wechseln ab und begünstigen eine treppenartige Verwitterung der Felswände. Da und dort zeigten die Wände tiefe Nischen, in denen wie vorweltliche Riesenkröten tote Gletscher liegen, Gletscher, die ihr Firngebiet verloren haben und nun wie unter einer warzigen Haut von einer dicken Schuttdecke begraben sind. Von drei Seiten her werden fortwährend neue Blöcke auf die Leblosen heruntergerollt, als ob ihre Leichname täglich neu zu Tode gesteinigt werden sollten. Die Schuttdecke verwehrt den Sonnenstrahlen den Zutritt und verzögert daurch das vollständige Zusammenschmelzen der Gletscher. So ragt nicht weit von der Landungsstelle ein solcher Gletscher noch jetzt bis zum Meer hinab." (Punkt 2 der Karte)

Südküste des Nordfjord. Skizze nach einer Fotografie Porsilds (Jost 1919)



Wie die Felsen lockten! Es war ja erster August, und da sollte ein Schweizer etwas Rechtes tun! Nach der Terminbeobachtung um 9 Uhr machte ich mich bereit und schwang meinen Rucksack über die Schultern; er war leicht. Ausser dem Feldstecher, einem Peilkompass, dem Aneroidbarometer [Dosenbarometer], einem Assmannschen Psychrometer [Hygrometer zur Bestimmung der relativen Luftfeuchtigkeit], einem Anemometer [Windmesser] war nur sehr wenig Proviant in Form von Chokolade drin. [...] In 600 m Höhe betrat ich um 10 Uhr 50 Minuten abends den Grat. [...] Ein derartig scharf ausgeprägter Grat gehört in der Basaltlandschaft von Disco zu den Ausnahmen. Die Basaltberge der Insel sind in typischer Ausbildung Tafelberge, die oft Gletscherkappen tragen. Die tiefen Taleinschnitte haben aber sehr schroffe Gehänge zur Folge. So sehen die Discoberge aus der Ferne betrachtet aus, wie wenn ein Zimmermann mit einer Riesensäge aus einem einen Kilometer dicken Stoss von Brettern herausgeschnitten worden wären.

Dieser Grat aber ist scharf zugespitzt, weil sich südlich von ihm ein tiefes Paralleltal zum Fjord eingegraben hat, dessen Gletscherbäche, zu einem vereinigt, die Kette weiter westlich quer durchbrechen. Umso schöner war das Wandern, und besondere Schwierigkeiten boten sich vorläufig keine. So gelangte ich schon eine halbe Stunde vor Mitternacht auf eine Graterhebung, die ich der flammenden Farben wegen Nordlichtgipfel nannte. In 820 m Höhe wurde hier zum ersten Male Rast gemacht und mit dem Peilkompass die hauptsächlichsten Punkte des Horizonts aufgenommen. [...] Auch der weitere Verlauf des Grates bot keine technischen Schwierigkeiten. Einzig ein steiles, etwas breiteres Bollwerk verursachte etwelche Arbeit, indem es mir seine vom Steinschlag glatt gehämmerte Flanke zukehrte. Ein ideales Klettergestein war dieser Basalt nicht. Dagegen waren die Kamikker, die grönländischen Fellstrümpfe, in denen man sich so gut gewöhnt hatte, jede Zehe zu gebrauchen, ganz brauchbare Kletterschuhe. [...] Auf dem breiten Rücken, der sich an das Bollwerk anschloss, erreichte ich gegen zwei Uhr morgens des zweiten August die höchste Felsenegg der Kette. Ich befand mich 1126 m über dem Meeresspiegel.

Die drei Meeresarme, die die Westküste prägen: Nord-, Mellem- und Diskofjord





































Östlich von mir lag eine breite Firnkuppe, mein nächstes Ziel, behaglich im Sonnenlicht. Auf der Wanderung dorthin gelangte ich auf eine schmale Scharte, auf der eine 15 cm breite Pfadspur ausgetreten war. Hier oben! Ich traute meinen Augen nicht. Bei näherer Untersuchung endeckte ich im sandigen Gräblein eine Menge Abdrücke von Pfoten und Krallen. Pflegte hier eine ganze Fuchsfamilie nach der Mahlzeit ihre Tausend Schritte zu tun? Dieser Schneegipfel (1230 m) wurde um 3 Uhr 10 Minuten erreicht. Der Firn- und Eisschild brach gegen den Fjord zu senkrecht ab und wies dort eine Mächtigkeit von ungefähr 30 m auf." Dieser Firn- und Eisschild war 20 Jahre später verschwunden, wie Jost auf der in den Jahren von 1931 bis 1933 aufgenommenen Karte feststellen musste.

Die Kette bog nun etwas gegen Südosten um [... und] gegen fünf Uhr erreichte ich den Gipfel, der eine barometrisch gemessene Höhe von 1324 m aufweist (Punkt 3 der Karte; effektiv 1292 m). Trotzdem die Cirrostraten schon den grössten Teil des Nordhimmels bedeckten, blendete die Sonne bereits. In dem grossen, östlichen Tale vor mir lag ein bleicher, dunstiger Schleier, der besonders den im Schatten liegenden Nordhang vor allzu eindringlichen Blicken schützte. Umso herrlicher glänzten die Firnen und grossen Hängegletscher der Bergkette, die das Tal gegen Süde abgrenzt. Einen gerade gewaltigen Eindruck machte auf mich der grosse Talgletscher. Ich glaube, ich habe auf der Discoinsel keinen so grossen gesehen."

Hier erwog Jost den Abstieg in ein östlich gelegenen Tal, um von dort zurück an den Nordfjord zu gelangen. Doch sein Schuhwerk hatte gelitten und den Zeitbedarf veranschlagte er höher, als die Rückkehr auf der Route, auf der er gekommen war.

"Dann wollte ich nicht, dass sich meine Kameraden um mich ängstigen sollten. So kehrte ich denn um. Um 8 Uhr morgens stand ich wieder auf der hohen Felsenegg und hatte damit den weniger interessanten Teil des Marsches hinter mir. An dem geringen Interesse, das mir die grossartige Szenerie abzwang, erkannte ich meine Ermüdung, trotzdem die Beine automatisch weiterarbeiteten. [...] Die Gratwanderung erfrischte mich wieder; einzig die griffarme Flanke des Bollwerkes bot einige unangenehme Stellen. Gegen 11 Uhr mittags betrat ich wieder das Boot. Das letzte Stück des Abstieges wurde mehr und mehr zu einem Büssergang. Die Sohlen meiner Kammiker waren durchgescheuert und auch die mir von meiner Mutter so fürsorglich gestrickten schafwollenen Strümpfe zeigten an den Sohlen grosse Löcher. Trotzdem meine Füsse seit bald anderthalb Jahren gut abgehärtet waren, fühlten sie sich doch erbarmungslos gepeinigt; denn Basaltgerölle sind hart und scharfkantig. Der Schlaf, den ich mir nach 27 Stunden wieder gönnte, war nur dadurch gestört, dass ich während der Zeit der stärksten Gezeitenströmung unsanft hin uns her gerollt wurde, sodass ich mich tüchtig gegen die Wände stemmen musste." (Jost 1919)

Die Clio borealis nahm darauf weiter Kurs nach Süden. Ein Sturm zwang sie, in der Bucht von Ivigssarkut (Punkt 4 der Karte) Schutz zu suchen.

"Aber noch im Hafen suchten starke Windstösse, die sich von den Bergen herunter stürzten, uns das Boot vom Anker zu reissen, so dass wir Wache stellen mussten." Als es aufgeklart hatte, fuhren sie tiefer in den Mellemfjord ein und ankerten an der Nordseite des Fjords, bei Itivdlersnak (Punkt 5 auf der Karte). Dort wurde das nordwärts führende Iterdlagssuaq-Tal erkundet. Am Abend des 6. August erreichten sie die Siedlung Kangerluk im Disko-Fjord, die bis heute bewohnt ist. Nach drei Wochen Fahrt war es das erste Mal, dass sie wieder auf Menschen trafen (Punkt 6 der Karte).

Arktische Station in Godhavn (Rikli 1911)
Wenige Tage später und nach mindestens 460 Kilometern Strecke auf See traf die Expedition wieder in Godhavn (heute: Qeqertarsuaq) ein, wo Porsild mit seiner Familie lebte. Spätestens im September müssen die beiden Teilnehmer der "Schweizerischen Grönland-Expedition 1912-1913" Jost und Stolberg sowie Lauge Koch wieder nach Europa heim gereist sein.

Jost, der in Mathematik promoviert hatte, wurde nach seiner Rückkehr in die Schweiz als Physiklehrer an die Berner Realschule gewählt. Dort unterrichtete er bis 1952. Von 1924 bis zu seinem Tod im Jahr 1964 war er Mitglied und zuletzt Vizepräsident der Gletscherkommission der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft (SNG); ab 1931 war er an pionierhaften seismischen Untersuchungen auf dem Rhonegletscher beteiligt. Während seines Studiums war er dem Akademischen Alpenclub Bern und der Sektion Bern des Schweizer Alpenclub beigetreten; in Anerkennung seiner Verdienste wurde er später zum Ehrenmitglied gewählt.

Veröffentlichungen
Jost, Wilhelm (1919): Augusttage an der Westküste der Discoinsel. In: Akademischer Alpenclub Bern, Jahresbericht 13(1917/18). Bern. S. 33-48.
- Quervain, Alfred de und Wilhelm Jost: Aerologische Arbeiten in Verbindung mit isländischen Beobachtungen des K. Dän. Meterologischen Instituts. In: Ergebnisse der Schweizerischen Grönlandexpedition 1912-1913. Basel 1920. S. 311-402.
- Zur Erinnerung an Alfred de Quervain. In: Die Alpen. 3(1927). S. 48-51.
- Gletscherschwankungen auf der Insel Disco in Westgrönland. In: Zeitschrift für Gletscherkunde, für Eiszeitforschung und Geschichte des Klimas. 27. Band (1941). S. 20-28.

Es wurden nur Veröffentlichungen berücksichtigt, die in einen unmittelbaren Zusammenhang mit Wilhelm Josts Aufenthalt in Grönland stehen. Sein Nachlass wird im Archiv der ETH Zürich aufbewahrt.

Veröffentlichungen zu Josts Leben und Werk
Adrian, H.: Wilhelm Jost 1882-1964. In: Mitteilungen der Naturforschen Gesellschaft in Bern. Neue Folge, 22 (1964). S. 321-324.
H., R.: Dr. phil Wilhelm Jost 1882-1964. In: Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft 144(1964). S. 267-268.
Kuhn, Jürg (2005) Die Krafteinheit. In: 100 Jahre Akademischer Alpenclub Bern 1905-2005. Bern. S. 223.

Literatur
Dawes, Peter R.: The Koch family papers. Part 1: New insight into the life, work and aspirations of Greenland geo-explorer Lauge Koch (1892-1964). Copenhagen, Geological Survey of Denmark and Greenland (GEUS), 2012. ISBN 978-87-7871-335-3. 
Malaurie, Jean (2003): Mythos Nordpol. 200 Jahre Expeditionsgeschichte. Hamburg.
Olsen, Anne und Karsten Secher: Gronlandforskeren Lauge Koch. (Polarprofiler). Kobenhavn 1964.
Qeqertarsuaq, Disko Ø. 1:250'000. Saga-Maps. Kopenhagen. Ca. 1990.
Rikli, Martin und Arnold Heim: Sommerfahrten in Grönland. Frauenfeld 1911.

In der Bildersammlung des Arktischen Instituts in Kopenhagen http://www.arktiskebilleder.dk sind die Fotografien Morten Porsilds zugänglich. Mit dem String Porsild 1913 können die Bilder von beiden Expeditionen aufgerufen werden.

Die Website des Arktischen Institut in Kopenhagen ist unter http://www.arktiskinstitut.dk/ zugänglich. Über die Geschichte der Arktischen Station informiert http://arktiskstation.ku.dk/english/about/history/

Und zum Schluss: Von Wilhelm Josts Aufenthalt auf der Insel Disko ist folgende Anekdote überliefert "[Er] freundete sich mit der einheimischen Bevölkerung in Godhavn schnell an. Seine Grösse und seine Körperkräfte ermöglichten es ihm, unter jedem Arm einen 75 Kilogramm schweren Wasserstoffzylinder auf einmal zu tragen. Das imponierte den Inuit dermassen, dass '1 Jost' fortan zur Bezeichnung für die absolute Krafteinheit wurde." (Kuhn 2005)

Freitag, 12. Juli 2013

"Asgard lockt. Dieser Felsenklotz!" Zum 60. Jahrestag der Erstbesteigung des Mount Asgard (13. Juli 1953), von Stefan Kern

"Das 'Arctic Institute of North America' organisierte in Zusammenarbeit mit der 'Schweizerischen Stiftung für Alpine Forschung' die Baffin Island Expedition 1953. Sie hatte zum Ziel, das Berggebiet der Penny Highlands im südlichen Baffin Island (67° N) zu erforschen. Im Vordergrund standen Untersuchungen der grossen Eiskappe und der langen Gletscher, die mit ihren gewaltigen Moränen das Bild der Landschaft am Pangnirtung Pass prägen. Meteorologische Messungen auf dem Eisschild, sowie archäologische, zoologische und botanische Studien rundeten das Forschungsprogramm ab. 

Die Expedition unter der Leitung von Patrick D. Baird dauerte vom 12. Mai bis zum 13. September. Sie zählte 13 Teilnehmer aus Kanada, Grossbritannien und der Schweiz. Zehn Mitglieder hatten ihr Hochschulstudium bereits abgeschlossen. Sechs Wissenschafter brachten Erfahrungen aus früheren Polarexepditionen mit." (Schwarzenbach 2008)

Die Teilnehmer aus der Schweiz waren der Bergführer und Chemie-Ingenieur Jürg Marmet (1927-2013), der Geologe und Glaziologe Hans "Tschoon" Röthlisberger (1923-2009), Elektroingenieur Hans "Housi" Weber (1925-2009) und der Botaniker Fritz Hans Schwarzenbach (*1925).

"Die gesamte Cumberland-Halbinsel, ungefähr ebenso gross wie die Schweiz, ist Gebirgsland, mit kühngeformten Felsgipfeln und Plateaugletschern durchschnittlich 2000 m über Meereshöhe. Dieses Gebiet wurde zum ersten Male schon im Jahre 1585 von John Davis besucht, und manche von ihm benannte Örtlichkeiten finden sich noch auf den heutigen Karten. Erst freihundert Jahr später drangen weisse Forscher in das Landesinnere vor, während die Küsten den Walfängern wohlbekannt waren, insbesondere Captain Penny, der den Hogarth Sound (Cumberland Sound) wiederentdeckte. Der deutsche Anthropologe Boas verbrachte das Jahr 1883/84 in diesem Gebiet. Er überschritt den Kingnaitpass, machte eine bemerkswert genaue Karte hauptsächlich auf Grund von Beschreibungen der Eingeborenen und nannte das eisbedeckte Bergland westlich des Pangnirtungpasses 'Penny Island'.

Berge der Welt 1954
Als sich die 'Hudson Bay Company' und die 'Royal Canadian Mounted Police' anfangs der zwanziger Jahre in Pangnirtung niederliessen, wurde der Pass von Winterpatrouillen begangen, denen er mit seinen Schwierigkeiten als Schlittenroute einen gehörigen Respekt einflösste. Ebenso erging es dem Biologen J. Dewey Soper 1924, der uns die erste genaue Beschreibung davon gab. Gruppen der 'Geological Survey of Canada' unter Leitung von Weeks (1926/27) und Riley (1951) hatten die Küste des Cumberland Sound erforscht, aber das Landesinnere war grossenteils noch wissenschaftlich unbekannt.

Unsere Expedtion hatte die Flugaufnahmen von 1948 und 1949 zur Verfügung, aber die Höhen kannten wir nur aus den offiziellen Schätzungen von 2400 bis 2600 m für die Penny Ice Cap und von 2100 m für die verschiedenen Erhebungen; dazu kam noch Sopers Angabe, dass die Passhöhe 400 m betrage." (Baird 1954)

"Am frühen Morgen des 21. Mai 1953 startete Colonel P.D. Baird mit drei Mitgliedern, unter denen auch ich [Jürg Marmet] mich befand, in Pangnirtung zu einem Rekognoszierungsflug über das vorgesehene Expeditionsgebiet. [...] Dann umkreisten wir einen riesigen Felsturm mit 1000 m hohen, senkrecht abfallenden Wänden. Seit jeher fesselte der Anblick dieses Turmes die vorüberfliegenden Piloten. Uns blieb es schliesslich vorbehalten, ihm einen Namen zu geben und ihn zu besteigen: Mount Asgard (Thron der Götter)." (Marmet 1954)

Beim Ausfluss des Glacier Lake. Im Hintergrund Mt Asgard. (Schwarzenbach 2008)






"Wenn nicht sein Ruf und die Einmaligkeit eines Asgard gewesen wären, wir hätten vielleicht die Besteigung gar nicht versucht. Sie stand von der Zeit der ersten Planung bis kurz vor Beendigung ständig im Zeichen schwankender Stimmungen: eventuell möglich - unmöglich - möglicherweise möglich. In diesem Aufundab hatten wir vom Flugzeug aus den Berg betrachtet, mit diesem Leitmotiv führten wir die Unterhaltung während des stundenlangen Anmarsches über den Gletscher." (Röthlisberger 1954)

"Sonntag, 12. Juli 1953. Sonnig warm, Moskitos, leichter Südwind. [...] Pat will am 15. Juli ins Bergsteigerlager aufbrechen. So beschliessen wir, bis dahin den Mt. Asgard anzugehen. Wir werden um 01.00 Uhr aufstehen und vielleicht abreisen. Es braucht Zeit, bis wir alles Material beisammen haben und erst noch den Proviant aus den Kisten ausgegraben haben. Immerhin reicht es noch für zwei Stunden Schlaf.

Montag, 13. Juli 1953. Strahlendes Wetter, warm. Um halb zwei Uhr rasselt der Wecker, aber - um mit Carl Spitteler zu sprechen - 'am Anfang war der Schlaf'. Noch selten habe ich so Mühe gehabt, wach zu werden. Dreimal werde ich geweckt, dreimal schlafe ich wieder ein, bis ich in die Welt zurückkehre. Es bessert erst, als wir auf dem Gletscher 29 bei strahlendem Sonnenschein hinaufsteigen.

Der "Felsenklotz". Aufnahme: Fritz Hans Schwarzenbach
Asgard lockt. Dieser Felsenklotz! Ein riesiges Fass mit 1000 m hohen Wänden und einer weissen Decke darauf, wie es sich für ein uraltes Weinfass gebührt. Um halb acht Uhr machen wir auf 1250 m einen Halt für das zweite Frühstück. Es ist so warm und gemütlich zwischen den Steinen, dass alle vier wieder einnicken. Jürg - unser Bergführer - bringt uns nach einer Stunde endlich wieder auf die Beine." (Schwarzenbach 2008)

"Über Eisabbrüche, Felsrippen und Schneefelder arbeiteten wir uns unter die Scharte empor, wo eine senkrechte, teilweise leicht überhängende Stufe den direkten Anstieg in die Lücke versperrte und uns zu einem Quergang weit in die Wand hinaus zwang. Überall tropfte Wasser, sammelte sich in Spalten, Flechten und Moos und plätscherte über Felsvorsprünge in die Tiefe. Schliesslich erlaubten Risse und Bänder wieder das Vordringen in der Falllinie bis auf die Gratkante und über diese zurück in die Scharte.

Im alten Urner Führer steht in einer Routenbeschreibung über den Salbitschyn: 'Hier beginnt die Kletterei mit vollem Ernst.' Diese lakonische Bemerkung kam uns beim Betrachten den nun folgenden Stufe in den Sinn und verliess uns bis auf den Gipfel nicht mehr. Denn was nun folgte, waren schmale Risse und griffarme Kamine, Überhänge und Platten, wohlgemischt und von rieselndem Wasser bespült. Zum guten Glück ermöglichten horizontale Bänder nach jeder Steilstufe ein Verschnaufen und gute Sicherung. Sonst wären wir wohl kaum mit so wenig Haken ausgekommen.

Hans Weber steigt in den obersten Kamin ein.
(Berge der Welt 1954)
Die grosse, etwas ungewöhnliche Überraschung erwartete uns aber kurz vor dem Gipfelplateau. ein Bächlein sprang munter sprühend in einem kurzen Kamin von Stufe zu Stufe, von Stein zu Stein, und verlor sich schliesslich in der 800 m lotrechten Westwand. Doch hier mussten wir wohl oder übel durch. Ein mitten im Sprühregen geschlagener Haken mit Trittschlinge half uns rasch in die Höhe und um 6 Uhr abends standen wir auf der Schneekrone des Gipfels. Voll Freude blickten wir in die Tiefe, hinunter zum Basislager, nicht ahnend, dass zur selben Zeit einem unserer englischen Kameraden die letzte Lebensstunde schlug.

Vor der Nacht brauchten wir uns jetzt nicht zu fürchten. In aller Ruhe seilten wir über die Aufstiegsroute ab zum Einstieg zurück. Wie wir uns 26 Stunden nach unserem Aufbruch, kurz vor der Rückkehr ins Lager, nochmals umwandten, leuchtete unser Berg wieder im warmen Rot des aufsteigenden Lichtes." (Marmet 1954)

Jürg Marmet über den alpinistischen Palmarès des Sommers 1953
"Im Verlaufe des Sommers wurden acht Gipfel des Expeditionsgebietes bestiegen. Als schweizerischer Bergführer hatte ich dabei Gelegenheit, an allen Grosstouren teilzunehmen.

Der höchste Berg, die Tête Blanche (2156 m), wurde am 29. Juni von Röthlisberger, Weber und mir erstiegen. Alle vier Schweizer, also auch Schwarzenbach, erkletterten am 13. Juni [Juli!] den Mount Asgard (2011 m), den imposanten Felsturm, der nur mit künstlichen Hilfsmitteln und in sehr schwieriger Kletterei zu ersteigen war.

Zusammen mit Expeditionsleiter Colonel P.D. Baird bestiegen wir den Mount Queen Elizabeth (2138 m), den zweithöchsten und wohl schönsten Berg des Gebietes.

Der Aussichtsberg (1348 m), an dessen Fuss unser Basislager stand, wurde wohl von fast allen Expeditionsmitgliedern bestiegen. Zum Gedenken an unseren Kameraden Ben Battle, der am 13. Juli in der Nähe des Basislagers seinen Tod fand und dessen Grab von diesem Berg bewacht wird, nannten wir ihn Mount Battle. [Der 34jährige Geograph und Bergsteiger war in eine Spalte gestürzt und ertrank].

Am 27. Juni erkletterten Röthlisberger, Weber und ich einen hohen Felsturm unmittelbar über dem Lager A 3, der uns ein vollständiges Bild des Highwaygletschers von der Eiskappe bis hinunter an den Fluss vermittelte.

Im Alleingang bestieg ich am 5. August einen auffallenden Berg (ca. 2080 m hoch) östlich des Lagers A 3, der den nördlichen Talabschluss des Süd-Pangnirtung-Tales dominiert.

Weitere zwei Berge wurden von uns erstiegen, wobei das Ziel aber nicht in der Besteigung, sondern in der Ausführung einer Arbeit lag. So bestieg Weber einen Schneeberg (ca. 2100 m) östlich von Lager A 2 zum Filmen der Mitternachtssonne, und ich war auf einer Schneekuppe (ca. 2120 m) südlich A 2 zur Ausführung von Vermessungsarbeiten." (Marmet 1954)

Tête Blanche (Schwarzenbach 2008)

















Veröffentlichungen
Baird, Patrick D. (1954) Die Baffin-Island-Expedition 1953. Zürich. Berge der Welt, 9. Band. S. 144-146
Marmet, Jürg (1954) Cumberland - Ein Traumland für Bergsteiger. Zürich. Berge der Welt. 9. Band. S. 154-159
Röthlisberger, Hans: Baffinland 1953. In: 100 Jahre Akademischer Alpenclub Bern 1905-2005. Bern 2005. S. 234-241
- Forschung und Gipfel in der Arktis. In: 100 Jahre Akademischer Alpenclub Bern 1905-2005. Bern 2005. S. 223
- und Fritz Hans Schwarzenbach: Mitteilungen über die geographisch-naturwissenschaftliche Expedition 1953 nach Baffin-Island. In: Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft, 136. Versammlung. Basel 1956. S. 182
- Rund um die Verpflegung und andere Glossen. In: 100 Jahre Akademischer Alpenclub Bern 1905-2005. Bern 2005.S. 242-245
- Seismic sounding. In: Arctic, Vol. 6 (1953), Nr. 4. S. 234-237
- Seismische Gletscheruntersuchung. Zürich 1954. Berge der Welt. 9. Band. S. 147-153
- Studies in glacier physics on the Penny ice cap, Baffin Island, 1953. Part 3, seismic sounding. In: Journal of glaciology; 2, 1955, nr. 18. S. 530-552
Schwarzenbach, Fritz Hans: Arktischer Bergfrühling. In: Berge der Welt. Band 13 (1961/62). S. 245-252
- Aus der Arbeit eines Botanikers in arktischen Gebirgen. Zürich 1954. Berge der Welt, 9. Band. S. 160-165
- Baffin Island Expedition 1953. A preliminary field report, botany. In: Arctic, Vol. 6 (1953), Nr. 4. S. 248-249
- (2008) Baffin Island 1953. Tagebuch einer Polarexepdition. Abschrift der stenographierten Originalfassung. Norderstedt, Books on Demand. ISBN 978-3-8370-5423-1. http://www.amazon.de/Baffin-Island-1953-Tagebuch-Polarexpedition/dp/3837054233
- Botanical observations on the Penny Highlands of Baffin Island. A historical document : results of the second Baffin Island Expedition by the Arctic Institute of North America (1953) under the leadership of Col. P.D. Baird. Norderstedt, Books on Demand, 2011. 160 S. http://www.amazon.com/Botanical-Observations-Highlands-Baffin-Island/dp/3842318847/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1373388205&sr=8-2&keywords=schwarzenbach+baffin
- Eine Expedition nach Baffinland. In: Jugendwoche 15(1959). S. 10-15
Weiss, Marcello, Fritz Hans Schwarzenbach und Hans Weber: Baffin Island. Arctic expedition summer 1953. Zug, Weissfilm, 2008. DVD-Video, basierend auf 16mm Originalaufnahmen, 35 Minuten. Schweizerdeutsch, Englisch, Französisch. 35 Franken. http://www.weissfilm.ch/produktionen/doku_baffin.php

Es sind lediglich die Arbeiten nachgewiesen, die einen unmittelbaren Bezug zur Expedition haben.

Über die weitere alpinistische Erschliessungsgeschichte von Baffin Island: Synnott, Mark: Baffin Island. Climbing, Trekking & Skiing. Surrey, B.C: Rocky Mountain Books, 2008. ISBN 978-1-894765-98-5. http://www.amazon.com/Baffin-Island-Mark-Synnott/dp/1894765982/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1373389071&sr=1-1&keywords=synnott+baffin