Sonntag, 28. April 2013

Opas Eisberg, von Stephan Orths. Ein neues Ego-Dokument zur schweizerischen Grönland-Expedition 1912/13, Rezension von Stefan Kern

Roderich Fick war Teilnehmer der zweiten Überquerung des Inlandeises. Der Sohn eines Augenarztes aus Deutschland wächst in Zürich auf. 1908 erfährt er von den Plänen einer Expedition Alfred de Quervains. Dieser lehnt die Bewerbung Ficks ab. Der eher ziellose, künstlerisch begabte Architekturstudent setzt darauf alle Hebel in Bewegung, um trotzdem an einer Expedition teilnehmen zu können. Vergeblich bewirbt er sich auch bei Wilhelm Filchner in Berlin für eine Antarktis-Reise. Eine geplante Expedition zum Nordpol von Ferdinand Graf von Zeppelin kommt auch nicht zustande. Roderich Fick reist darauf für ein Semester nach Dresden. Er besucht dort Seminare über Astronomie, Meteorologie und Vermessungskunde. Zusammen mit Freund Karl Gaule bewirbt er sich erneut bei Alfred de Quervain. Und werden angenommen.

Vor ungefähr zwei Jahren fiepst das Telefon: Der Enkel von Fick und Redaktor beim Spiegel hat erfahren, dass ich über de Quervain arbeite. Er besitze das Expeditions-Tagebuch seines Grossvaters. Das könne eine interessante Quelle sein, eine Ergänzung zum bereits bekannten Material, antworte ich. Er wolle das Tagebuch veröffentlichen und werde sich melden, wenn er mal in Zürich sei - Eine Geschichte aus zwei Perspektiven dargestellt; mit einer gewissen Spannung hat man auf die Publikation gewartet.  

Jetzt liegt das 270seitige Buch Stephan Orths vor. Was hat es mit dem Eisberg des Opas auf sich, fragt sich der Leser beim Titel. Wie geht "Ahnenforschung im Eis"? - so wirbt der Verlag für das Buch. Im Gepäck das Tagebuch des späteren "Leibarchitekten" Hitlers, reist die Familie Orth im Sommer 2011 an die ostgrönländische Küste. Schon über die Reisevorbereitungen erfährt man viel. Der Ficks-Bjerg wird bestiegen. Im Sermilik-Fjord, da sind auch der Gaule- und der Hössli-Bjerg auf Karten zu finden, benannt nach den Namen der beiden anderen Begleiter de Quervains.

Im Jahr darauf bricht Orth mit drei Kameraden unter Leitung Wilfried Korths erneut zur Ostküste auf. Im August soll auf der umgekehrten Route das Eis überquert werden. Der Adept hat sich vorher in Tschechien und auf der Hardangervidda auf das Leben unter borealen Verhältnissen vorbereitet. Auch darüber erfährt man recht viel Persönliches. Das Abenteuer in Grönland endet nach ein paar Tagen: Zwei der Pulkas weisen vom Durchhieven durch die vielen Schmelzwassergräben Schäden auf. Alles, selbst das Laptop, sind in doppelter Ausführung mitgenommen worden. Pulkas nicht. Demokratisch wird die Entscheidung getroffen, die Expedition an die Westküste abzublasen. Wenigstens die Abstiegsroute von de Quervain und seiner Crew soll jetzt noch nachvollzogen werden.

Zeltplatz Nr. 29 wird erreicht. Dort, am Rand des Inlandeises, errichtete die Crew um Alfred de Quervain am 21. Juli 1912 das letzte "offizielle" Lager. Der Geodät Wilfried Korth muss nach 100 Jahren mit dem GPS feststellen, dass das Niveau des Platzes 70 Meter tiefer liegt. Korth hat das Inlandeis auf der historischen Route schon zweimal aus eigener Kraft überschritten; um die Ablation auf den Grundlagen von 1912 zu messen.

Die Rückseite des Schutzumschlags verspricht das "Expeditionstagebuch". Doch im Buch ist es nicht integral abgedruckt. Nur den Anfang der Aufzeichnungen hat Roderich Fick in Grönland selbst verfasst, erfährt der Leser in der zweiten Hälfte des Buches. Die weiteren Einträge wurden nach der Rückkehr im Herbst 1913 und später, während seines Kolonialdienstes in Afrika, geschrieben. Im Buch sind einige ausdrucksstarke Bleistiftzeichnungen Ficks abgedruckt.

Dass Alfred de Quervain autokratische Züge hatte, davon berichtete er selbst. Von den beiden Jüngeren, Gaule und Fick, sollen de Quervain und Hössli offenbar als von "die junge Lüt" gesprochen haben! In einem Brief vom Dezember 1912 bringt Gaule gegenüber Freund Fick Enttäuschung und Polemik über "Q." zum Ausdruck. Das ist in die Kategorie des "Expeditions-Katers" einzuordnen - Ein Phänomen, mit dem schon viele Expeditionsteilnehmer Bekanntschaft machten.

Die ausführlichen biographischen Angaben zu Karl Granville Gaule sind dem Rezensenten neu. Während des Krieges wurde er zur Königlich Preussischen Flugzeugmeisterei berufen. "Flugzeugmeisterei"! Später war er als Privatdozent für Flugzeugbau an der Technischen Hochschule in Danzig tätig. Wie Hans Hössli auch, starb Gaule relativ jung, im Jahr 1922.

Wie ein "unentschlossener Schnurrbart" aussieht, oder, welches Idiom eigentlich mit "Schwyzerdütsch" gemeint ist, oder, dass ein enthusiastischer junger Mann über den Namen "Fick" ins Ventilieren gerät, das sind Details, die man dem Autor nachsehen mag. Man fragt sich nur, ob der Malik-Verlag - mit seiner stolzen Vergangenheit - noch ein Lektorat hat: Es würde solche Mängel beheben und das Buch nicht so geschwätzig und anrührend werden lassen.

Verlagsseite http://www.piper.de/buecher/opas-eisberg-isbn-978-3-89029-432-2

Freitag, 12. April 2013

Olymp-Karte und Tourenführer: Zum Werk des Alpinisten Marcel Kurz.

Mittagsreferat von Dr. Alexa Renggli, Handschriftenabteilung der ZB Zürich, am 4. Juni 2013, 12.15 Uhr im Lesesaal Musikabteilung im Predigerchor. Zentralbibliothek Zürich, Predigerchor 33, 8001 Zürich.

Der Topograf, Alpinist und Expeditionsbergsteiger Marcel Kurz (1887-1967) verfasste u.a. die erste Übersichtsdarstellung über das Bergsteigen von Schweizern in ausseralpinen Gebieten. Unter dem Titel "Fremde Berge - ferne Ziele. Das Werk schweizerischer Forscher und Bergsteiger im Ausland" erschien sie 1948 als dritter Band der von der Schweizerischen Stiftung für Alpine Forschungen herausgegebenen Schriftenreihe "Berge der Welt".

Neben dem Kaukasus, dem Himalaya, dem Fernen Osten, den Rocky Mountains, der Anden-Kordillere und Afrika ist auch Grönland ein Kapitel gewidmet. Der Band enthält zudem biographisches Material, so u.a. über Alfred de Quervain, Paul-Louis Mercanton und Edouard Wyss-Dunant.

Das Referat und weitere Veranstaltungen finden im Rahmen der Ausstellung "Bergwelten. Die Zentralbibliotek des Schweizer Alpen-Club" statt. Zentralbibliothek Zürich: 25. April bis 7. September 2013. Flyer zur Ausstellung http://www.zb.uzh.ch/ausstellungen/mam/ausstellung_9341/rz_flyer_bergwelten_oschnittmarken.pdf

Schweizerische Stiftung für Alpine Forschung www.alpinfo.ch

Dienstag, 9. April 2013

"Ausgezeichnete Früchte auf Hasen-Insel." (Alfred G. Nathorst an Oswald Heer)


„Lieber hochgeehrter Freund! Vorgestern Abend spät trafen wir hier wieder ein. Reisen heute nach Gothenburg wo wir den 24. oder 25. an­kommen werden. Obschon ich nur etwa 4 Wochen, theilweise unter sehr ungünstigen Witterungsverhältnissen beim Waggatt zubringen konnte habe ich doch sehr umfassende Sammlungen (9 grosse Tonnen, 1/4 Tonne, 5 Kisten) von Pflanzenversteinerungen mitgebracht. Bei Atanekerdluk habe ich verschiedene Horizonte durch die ganze Schlucht entdeckt. Alles gehört zu den Ataneschichten, auf welchen die tertiären Lager hier diskordant liegen. Werde von Schweden ausführlicher schreiben. Ausgezeichnete Früchte auf Hasen-Insel. Nordenskiöld wanderte 130 Kilom. mit Schlit­ten, wurde dann durch loosen Schnee gehindert. Die Lappländer wanderten darauf noch 230 Kilom. bis 7000 Fuss  ü.M. Alles Schnee. Haben Kap York und Ost-Grönland auch besucht. Ihr A.G. Nathorst" (Burga 2013, S. 136/137)

So erstattete der schwedische Geologe und Paläobotaniker Nathorst dem Schweizer Naturforscher Oswald Heer (1809-1883) Bericht über die Ergebnisse einer Grönland-Expedition. Geleitet worden war sie von Adolf Erik Nordenskjöld. Nordenskjöld war es wenige Jahre zuvor mit der Vega gelungen, die Nord-Ost-Passage zu befahren. Nathorst gab die Postkarte nach seiner Rückkehr am 22. September 1883 in Thurso (Schottland) auf. Sie erreichte Heer zu Lebzeiten jedoch nicht mehr. Fünf Tage später verstarb er im Kreis seiner Familie in Lausanne.

Heer gilt als einer der Begründer der Paläontologie der Pflanzen und Insekten des Tertiärs sowie als Pionier der Pflanzengeographie der Schweizer Alpen. 1865 schrieb er einem Kollegen: "Es ist in letzter Zeit wieder der Gedanke in mir aufgetaucht, womöglich eine fossile Flora der arktischen und subarktischen Zone zusammenzustellen und zu publizieren"

Drei Jahre später begann sein monumentales Werk beim Verleger Schulthess in Zürich zu erscheinen: die "Flora fossilis arctica". Insgesamt sieben Bände erschienen bis 1883. Illustriert waren sie mit 400 grossformatigen Lithographien. Unter seiner Aufsicht waren sie von Spezialisten auf Stein gezeichnet worden.

Zwanzig Jahre seines Lebens beschäftigte sich der an der Universität Zürich und an der schweizerischen polytechnischen Schule (heute ETH) Lehrende mit diesem Thema. Kistenweise erhielt er arktische und subarktische Fossilien aus Museumssammlungen nach Zürich zugesandt.

Pflanzenfossilien von Spitzbergen (Svalbard). Nachlass des Botanikers Hans Hartmann (1926-2010)  


















Wie "vernetzt" Heer war, von wem die Fossilien gesammelt wurden und woher sie stammten, zeigt folgende Übersicht. Sie findet sich in dem 1885 und 1887 erschienenen "Lebensbild" des Forschers, das mehrere hundert Seiten umfasst.

Aus: C. Schröter: Oswald Heer. Zürich 1887, S. 260-267

"Many as have been the wonderful discoveries in Geology during the last half century, I think none have exceeded in interest your results with respect to the plants which formerly existed in the Arctic regions", so Charles Darwin 1875 in einem Brief an Heer.

Auch mit Louis Agassiz und Alexander von Humboldt korrespondierte der Naturforscher. Der Biogeograf und Herausgeber der ersten modernen Würdigung dieses Wissenschafters, Conradin A. Burga, hat insgesamt 650 Briefpartner ermittelt. An einem stilvollen Anlass wurde kürzlich das Erscheinen des opulent ausgestatteten Werks in der Zentralbibliothek Zürich gefeiert.

Oswald Heer 1809-1883. Paläobotaniker, Entomologe, Gründerpersönlichkeit. Conradin A. Burga (Hrsg.). Unter Mitarbeit von Urs B. Leu und mit Beiträgen von René Hantke, Stefan Ungricht, Milena Pika-Biolzi, Franziska Schmid, Rolf Rutishauser, Annette Bouheiry, Stefanie Jacomet und Angela Merz. Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2013. 512 Seiten, 167 Illustrationen. CHF 58.



Montag, 8. April 2013

Konrad Steffen: Polare Eisschilder und Meeresspiegel - wie sieht unsere Zukunft aus?

Einführungsvorlesung Prof. Dr. Konrad Steffen. Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Departement Umweltsystemwissenschaften.

Mittwoch, 10. April 2013, 17.15 Uhr. ETH Zürich, Rämistrasse 101, Hauptgebäude, F 30 (Auditorium Maximum).


Unter dem Titel "Der Direktor, der aus der Kälte kommt" ist am 30.10.2012 in der Neuen Zürcher Zeitung ein Porträt über den Klimatologen und Direktor der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf http://www.wsl.ch/ erschienen; ein weiteres am 30.3.2013 im Tages-Anzeiger.
Konrad Steffen forscht seit 1975 in der Arktis und der Antarktis.