Inhalt von Bubenträumen (SJW 931) |
"Die unendlichen Mühen und Leiden Nansens und seines Gefährten, ihr dreijähriger Kampf in Nacht und Eis, lesen sich, wie wenn sich das grosse Abenteuer im letzten Winter abgespielt hätte. So plastisch vermag die Autorin die weltberühmt gewordene Heldenfahrt darzustellen. Das Heft schenkt echteste und wahre Lesenahrung für abenteuerbegeisterte Knaben und auch Mädchen." So die wohl an Lehrer und Eltern adressierten Worte auf der Rückseite des 1966 veröffentlichten Hefts, das von Mary Lavater-Sloman (1891-1980) verfasst und von Werner Hofmann mit Federzeichnungen illustriert worden war.
Mythos Nord- und Südpol
Hier soll gezeigt werden, wie einer der Mythen des 20. Jahrhunderts, die Entdeckung und Erforschung der Polargebiete, in Schweizer Kinderzimmer und Schulstuben "transportiert" wurde. In einem später erscheinenden Beitrag sollen dann Kinderzeichnungen gezeigt werden, in denen sich dieser Mythos ebenfalls seinen Niederschag gefunden hat. Und auch, wie dieses Thema in der Schulstube vermittelt wurde. Ein Anspruch auf den vollständigen Nachweis aller in der Schweiz erschienenen Publikationen oder auf eine erschöpfende Behandlung des Themas, soll nicht erhoben werden. So liesse sich der Frage nachgehen, welche Werte in diesem Genre vermittelt werden sollten. Entschluss- und Tatkraft, Leidensfähigkeit und Durchhaltevermögen?
... und geplatzte Träume von Männern (SJW 353) |
Achtzehnjährig geworden, bereitete sich der Gymnasiast während der Sommerferien 1913 auf die klimatischen Bedingungen in Afrika vor, indem er die sonnigen Stunden im elterlichen Gewächshaus verbrachte, wo es "infernalisch heiss und schwül" wurde, wie sich der jüngere Bruder Friedrich Georg erinnert hat. Drei Monate später, nachdem Ernst Jünger die Grenze zu Frankreich überwunden hatte, meldete er sich bei der Fremdenlegion in Verdun. Kaum in der algerischen Garnison Sidi-Bel-Abbès angekommen, nutzte er die erstbeste Gelegenheit und floh nach Marokko. Denn von dort aus wollte er seinen Traum von einem freien und abenteuerlichen Leben in Afrika verwirklichen. Der Versuch misslang kläglich und nach seiner Gefangennahme wurde er mit Kerker bestraft. Juristische und diplomatische Interventionen ermöglichten ihm einige Wochen später die Heimkehr ins elterliche Haus in Rehburg. Noch in Afrika erreichte Jünger ein Telegramm seines Vaters; darin der Satz: "LASZ DICH PHOTOGRAPHIEREN".
Fehlende Klassenlektüre
Der Zürcher Sekundarlehrer W. Hintermann konzipierte um 1920 die Reihe "Schweizer Jugendschriften", weil es an geeigneter Klassenlektüre fehlte. Als Herausgeber fungierte dabei das Jugendamt der Stadt Zürich. Produziert und verlegt wurden die für zwanzig Rappen erhältlichen Heftchen im aufstrebenden Hallwag-Verlag in Bern.
Nebenstehender Umschlag, der von einem unbekannten Künstler gestaltet wurde, zeigt Alfred de Quervain (1879-1927) in markanter Pose in seinem eigens für ihn angefertigten Kajak. Sein Bericht "Schweizerische Grönlandexpedition" über die Reise entlang der Westküste sowie die Durchquerung des grönländischen Inlandeises im Jahr 1912 machte den Auftakt in dieser Reihe. Der Verlag lancierte aber noch mindestens eine weitere Ausgabe unter dem Titel "Jugendbücher - Schweizer Forschungsreisen". Dabei wurden mehrere Titel aus der Reihe "Schweizer Jugendschriften" zu einem Band mit einem Umfang von etwa 150 Seiten zusammengeheftet. Neben de Quervains Reisebericht enthält diese Ausgabe auch "Meine Reise nach Abessinien" sowie "Indien" von Ulrich Kollbrunner. Dieser weitgereiste Schulmann veröffentlichte später auch noch Berichte von seinen Fahrten nach Sumatra, den Philippinen und nach Südchina.
Das bis heute bestehende Schweizerische Jugendschriftwerk (SJW) wurde 1931 von Lehrern gegründet, um "guten" Lesestoff zu vermitteln. Ihr Kampf galt nämlich der "Schmutz- und Schundliteratur" in Form von Heftchen, die als Serien konzipiert ("John King's Erinnerungen", "Frank Allan, der Rächer der Enterbten") und meist deutschen Ursprungs waren. Der "lenkenden Hand", d.h. der Kontrolle von Behörden, Lehrern und Eltern, waren sie entzogen, weil sie von Tabakhändlern, Coiffeuren, Bademeistern, aber auch von Schülern und Eltern vertrieben, weitergereicht oder getauscht wurden. 1926 war in Deutschland das "Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften" in Kraft getreten und die Folge war, dass die Verleger den Absatz ihrer Erzeugnisse in die Schweiz verlegten. Ihre Sprache war zwar schlicht, doch inhaltlich konnten sie kaum beanstandet werden: Die Titelhelden standen stets im Kampf gegen das Böse in der Welt und Erotisches wurde kaum tangiert. Doch Titel ("Das Frauenhaus in Kairo", "Die Dame mit dem Leberfleck") und Umschläge waren reisserisch aufgemacht.
Als ein ertappter Zürcher Sekundarschüler auf Anhieb 48 Titel von solch "untergeistigen" Heften auswendig niederschreiben konnte ("In den Händen der Thugs" oder "Die vier Masken" etc.), war das Entsetzen in der Lehrerschaft gross; sie war an einem klassischen Literaturkanon geschult worden. "Vater und Mutter lesen auch, die Mutter raucht dazu", rechtfertigte ein anderer Knabe sein Treiben. Mittels einer gross angelegten Schülerbefragung in der Stadt Zürich wurde darauf die Sache genauestens untersucht und die Ergebnisse öffentlich gemacht; die "alte Tante", die Neue Zürcher Zeitung, bot das Sprachrohr dazu.
Das Schweizerischen Jugendschriftenwerk will "gute, zeitgemässe und preiswerte Literatur in den vier Landessprachen anbieten" (Website). Für Schweizer Verhältnisse werden hohe Auflagen erzielt (bis 20'000 Exemplare) und bis heute sind gegen 50 Millionen Exemplare abgesetzt worden. Ermöglicht wird das durch eine einfache und effiziente Absatzorganisation mit regionalen Vertriebsleitern und durch "Lehrpersonen".
Die Mission des SJW galt damals allerdings nicht allein der Verbreitung von Werten und Tugenden. Es ging auch um ökonomische Interessen: Schweizer Verlage, Buchhändler, Drucker, Schriftsteller und Illustratoren fühlten sich von der ausländischen Konkurrenz bedroht, worauf sie nach Wegen suchten, sich dagegen zu behaupten. Felix Moeschlin (1882-1969), Autor und Präsident des Schweizerischen Schriftstellerverbandes, stellte anlässlich der Gründung des Schweizerischen Jugendschriftenwerkes Kapital zur Verfügung; mit der Auflage, dass in den Publikationen des SJW Schweizer Autoren der Vorrang eingeräumt werden müsse. Kinder und Jugendliche waren von den Verlagen als Zielpublikum noch kaum erkannt worden und von Lehrern und von anderer Seite wurde beklagt, dass für Kinder und Jugendliche kaum adäquate Lektüre zur Verfügung stehe. Spannend und unterhaltend sollte sie sein. Es mangelte auch an praktischen Anleitungen, um Beobachtungen vor der Haustür oder Experimente mit einfachen Mitteln durchführen zu können. Auch gab es noch kein flächendeckendes Bibliotheksnetz, wie das heute als eine Selbstverständlichkeit betrachtet wird.
SJW-Heft Nr. 336 (ca. 1950) |
"Anziehende, farbig gediegene Titelbilder von Heften sollten im Kampf gegen die schreienden Umschlagzeichnungen der Schundschriften obsiegen", lautete die anonym ausgegebene Devise in einem Beitrag zum 20-Jahr-Jubiläum des SJW in der Schweizerischen Lehrerinnenzeitung. Dass es an Dramatik auf den Umschlägen der SJW-Hefte nicht mangelte, sie es mit den kritisierten "Schundschriften" durchaus aufnehmen konnten, belegt nebenstehende Umschlagillustration. Sie zeigt den Moment, als am 25. Mai 1928 das Luftschiff Nobile unter dem Kommando Umberto Nobiles im arktischen Packeis havarierte. Schwerverletzt überlebten Nobile und ein Teil seiner Mannschaft. Während das Luftschiff und der Rest der Mannschaft verschollen blieben, konnten der commandante und ein Teil seiner Leute nach aufwendigen Suchaktionen von einem russischen Eisbrecher gerettet werden. Dass diese Umschlagillustrationen eine mächtige Fasziniation auf die jungen Leser ausüben musste, weil die Bildsprache suggestiv gehalten war, soll durch weitere Beispiele belegt werden.
SJW-Heft Nr. 353 (1950) |
SJW-Heft Nr. 305 (1948) |
Auch Scotts und Amundsens Duell um den Südpol 1911/12 bot Spannung. Mit Hunden war der hartgesottene Profi Amundsen dorthin und zurück an die Küste fast "geflogen". Währendessen rackerten sich Scott und seine Leute mit Motorschlitten und Ponys ab. Die Schlitten schliesslich selbst ziehend, nahmen er und seine Crew ein schauerliches Ende. Trotz des Misserfolgs des Unternehmens, wurde es von der Presse in England zur Heldentat hochstilisiert. Willi Schnabel, der diesen Umschlag gestaltete, illustrierte insgesamt mehr als drei Dutzend SJW-Hefte.
SJW-Heft Nr. 11 |
SJW 614 (ca. 1960) |
Běhounek, Frantisek: Schiffbruch im Luftmeer. Nacherzählt von Fritz Rutishauser nach dem Buche „Sieben Wochen auf der Eisscholle“, Verlag Brockhaus, Leipzig. Umschlag und Zeichnungen von Hans Ritter. Zürich o.J. (ca. 1950). SJW-Heft Nr. 336
Bezzola, Leonardo. Biographische Angaben http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D27192.php
Bracher, Hans: Die Eroberer des Südpols. Umschlag und Bilder von Willi Schnabel. Zürich 1948. SJW-Heft Nr. 305
- Vom Nordpol zum Südpol. Erlebnisse des Fliegeradmirals Richard Evely Byrd. Nach seinen autobiographischen Büchern dargestellt. Umschlagbild und Zeichnungen von Leonardo Bezzola. Zürich o.J. (ca. 1960). SJW-Heft Nr. 614
Brunner, Fritz: Fünfzig Jahre Schweizerisches Jugendschriftenwerk (SJW) 1931-1981. Zürich 1981
Erhalten wir es so! (1950/51). Zwanzig Jahre Schweizerisches Jugendschriftenwerk. Nicht gezeichneter Artikel in: Schweizerische Lehrerinnenzeitung. Bd. 55, S. 299
Heusser, Hans: Im Ballon zum Nordpol. Nach Zeitungsberichten und dem Buche „33 Jahre verschollen im Packeis“, von Adrian Mohr, Carsten Borchgrevink, Tryggve Gran, G.V.E. Svedenborg und Otto Sverdrup bearbeitet. Umschlag und Innenbilder von Hans Ritter. Zürich 1950. (=SJW Nr. 353)
Jünger, Ernst (1978): Das abenteuerliche Herz. Sämtliche Werke, Band 9. Stuttgart
Kiesel, Helmuth (2007): Ernst Jünger. Die Biographie. München
Lavater-Sloman, Mary: Nansens Kampf im treibenden Eis des Nordpols. Umschlagbild und Zeichnungen von Werner Hofmann. Zürich 1967. SJW-Heft Nr. 931, 2. Auflage
Linsmayer, Charles: "Ein geistiges Rütli für die Schweizer Jugend." 75 Jahre SJW Schweizerisches Jugendschriftenwerk. Zürich 2007. SJW-Heft Nr. 2279
Moeschlin, Felix. Biographische Angaben http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6523.php
Quervain, Alfred de: Schweizerische Grönlandexpedition. Bern o.J. (um 1922). Jugendbücher / Schweizer Forschungsreisen
Schweizerisches Jugendschriftenwerk. Website http://www.sjw.ch/
Wartenweiler, Fritz: Fridtjof Nansen 1861-1930. Ein Held des Friedens. 1. Teil: "Vorwärts" (Fram) zum Nordpol. Umschlag und Zeichnungen von Walter Binder. Zürich 1950. SJW-Heft Nr. 11, 5. Auflage
Die Abbildungen der SJW-Hefte Nr. 305, 336 und 353 stammen aus den Beständen der Forschungsbibliothek Pestalozzianum (Zürich) http://www.phzh.ch/de/Forschung/Forschungsbibliothek-Pestalozzianum/
Weitere Kinder- und Jugendbücher
Gardi, René: Fische, die ertrinken. Umschlagbild von Willi Schnabel. Zürich o.J. (1954). SJW-Heft Nr. 489
- Von Lappen und Rentieren. Mit Bildern vom Verfasser. Zürich o.J. (1955). SJW-Heft Nr. 522)
Hiltbrunner, Hermann: Ein schweizerischer Robinson auf Spitzbergen. Die Erlebnisse vier Schiffbrüchiger in der Polarnacht. Zürich 1926
- Neuauflage. Bern 1959. Diese Ausgabe weicht inhaltlich von der Erstveröffentlichung ab.
Schmid, Heiri und Jürg Lendenmann: Globi und der Polarforscher. Zürich 2008
Nansen trifft 1896 auf Franz-Joseph-Land auf F.G. Jackson. Ill.: Werner Hoffmann (SJW 931) |
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